Institut für Palästinakunde
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Antwort auf einen offenen Brief [06.11.2011]

An der Seite Israels, um Rassismus, Unterdrückung und Krieg entgegentreten? Diese Kritik des IPK an der programmatischen Anerkennung des 'Existenzrechts Israels' durch die LINKE veranlasste den Betreiber dieser Webseite zu einem Offenen Brief, auf den wir im folgenden eingehen.

Sehr geehrter Herr Voigt,

zu Ihrem Offenen Brief nehmen wir wie folgt Stellung:

1. Der LINKEN wurde die Debatte nicht nur von Aussen, sondern vor allem anderen von Innen aufgenötigt. Es dreht sich dabei im Kern auch nicht um Palästina oder Israel, sondern den Versuch des rechten Parteiflügels sich in die herrschende imperialistische Weltordnung einzufügen – damit Regierungsfähigkeit zu demonstrieren – und den linken antiimperialistischen Flügel der LINKEN zu demolieren (siehe speziell die unglaublichen Angriffe von Ramelow auf Dierkes). (Das 'Existenzrecht Israels' steht im übrigen auch in den Parteiprogrammen anderer großer Parteien – wobei man sich wirklich fragt, was dieses 'Existenzrecht' denn plötzlich derart populär hat werden lassen.)

2. Der zur Diskussion stehende Beitrag unterstellt nirgendwo Rassismus – der Begriff tritt gar nicht auf. Behauptet wird vielmehr, dass die Anerkennung des 'Existenzrechts Israels' auch die Akzeptanz eines ethnizistischen Nationalismus – d.h. Rassismus - mit beinhaltet. Es wird nicht behauptet, dass dies der Mehrheit der LINKEN bewusst ist und bei der Entscheidung für dieses Bekenntnis maßgeblich war. Nach unserem Eindruck ist das Haupmotiv eher Machtopportunismus und selbstverständlich Unwissenheit um die Realität in Palästina.
Rassismus ist im Übrigen nicht auf Deutsche oder Europäer beschränkt. Und es dürfte kaum jemanden geben, der in ethnischen Fragen frei von Vorurteilen ist, den Verfasser der Zeilen mit eingeschlossen.  

3. Die Hochschätzung der Solidarität mit einem Volk – sei es nun jüdisch oder palästinensisch - können wir so nicht nachvollziehen.
Linke können nur solidarisch mit Unterdrückten sein. Wenn ein ganzes Volk unterdrückt wird – dann auch mit dem Volk. Das jüdische Volk in Israel ist hingegen nicht unterdrückt, es ist mehrheitlich Unterdrücker oder profitiert von Unterdrückung und kann daher nicht Gegenstand von linker Solidarität sein.
Linke können allenfalls soldarisch mit den Linken in Israel sein – die Ziel des israelischen staatlichen Repressionsapparats sind, jenes Staates mit dem sich das Parteiprogramm der LINKEN solidarisiert.
Genauso gilt, dass Linke nicht solidarisch mit den Palästinensern sein können, deren alleiniges Ziel darin liegt, die unerträglichen Macht- und Gewaltverhältnisse in Palästina einfach umzukehren.

5. Wir widersprechen Ihrer Behauptung, dass „Im Parteientwurf … keine Begründung des Staates Israel auf der Grundlage zionistischer Ideologie gefordert …" wird.
Das Programm benutzt wortwörtlich den Begriff 'Existenzrecht Israels', einen Kernbegriff des zionistischen Diskurses bzw. der Propaganda, der ein Recht auf jüdische Dominanz in dem von Israel beherrschten Territorium impliziert. Eine noch größere Annäherung an den Zionismus ist schwer vorstellbar – zumindestens in einem 'linken' Parteiprogramm.

6. Sie erklären: "Im Parteiprogramm steht an keiner Stelle, dass expansionistische Tendenzen über die Resolutionsgrenzen hinaus tolerabel wären!".
Das Hauptmoment zionistischer Praxis – zu der Ideologie hat die LINKE sich ja bereits mit ihrem Bekenntnis zum 'Existenzrecht' bekannt – ist seine Grenzenlosigkeit: Israel verschiebt seine Grenzen an praktisch jedem neuen Tag. Wer 'ja' zum 'Existenzrecht' sagt, der sagt daher auch 'ja' zur Expansion.
Wenn die LINKE etwas anderes gewollt hätte, hätte sie das unmissverständlich in das Programm hineinschreiben können. Etwa, dass sie Israel ein 'Existenzrecht' in den 67'er Grenzen einräumt. Genau das hat die LINKE aber unterlassen.
Des Weiteren schreiben Sie: "aber selbstverständlich gelten die grundsätzliche Ablehnung militärischer Interventionen und militärische Bearbeitung politischer Konflkte auch und gerade für den Nahen Osten".
Das Problem mit diesem Satz liegt darin, dass die Besatzer nur in Ausnahmefällen militärisch intervenieren. Die Unterdrückung und Vertreibung der Palästinenser basiert zu 99% auf der Androhung von Gewalt, auf Barrieren und Checkpoints sowie auf Gesetzen und Verordnungen, die mit polizeilichen Mitteln durchgesetzt werden.
Die Besatzung beruht also vor allem anderen auf struktureller Gewalt. Die Forderung nach dem Ende der Besatzung ist aber nicht Teil des Parteiprogramms! Das Wort tritt gar nicht erst auf, zufälligerweise in vollständiger Übereinstimmung mit der israelischen Propaganda.

7. Sie stellen fest: "Wieso “verleugnet” das Parteiprogramm, ja wiederum vorsätzlich(!) die “abgrundtiefe Machtdisparität”? dazu wird im Entwurf an dieser Stelle (!) überhaupt keine Stellung bezogen".
Genau! Die Machtdisparität ist dem Programm keiner Erwähnung wert. Denn dieses Wegsehen ist auch die Voraussetzung für die Forderung nach einer Zweistaatenlösung.
Wenn man sich die Kontrahenten ansieht – eine von den imperialistischen Mächten gestützte Nuklearmacht auf der einen - und eine Masse militärischer und ökonomischer Habenichtse - angeführt von einer ihnen aufoktroyierten autoritären Führung - auf der anderen Seite, dann ist völlig klar, wie die von dem LINKEN Parteiprogramm gewünschte, unvermeidlich durch Verhandlungen (sic!) herzustellende Zweistaatenlösung enden wird: mit einer Kette von Bantustaans von der Art, die man in Gaza bereits bewundern kann.

Abschluss

Am Ende führen Sie über den Beitrag in marx21 aus: "er beschreibt aber sozusagen den Parteitagsbeschluss, wie ihn ein extremistischer Israeli, fehlinterpretiern würde und nicht so, wie er Eingang in die Selbstverständigung der Partei gefunden hat."

Ihre Interpretation in allen Ehren, aber sie deckt sich nicht mit dem Programmtext – dem was darin seht und dem was – bedeutsamer – nicht darin steht.
Die Verfasser des Programms haben diese Zeilen mit Sicherheit nicht unbedacht geschrieben – ganz besonders nach dem geradezu stalinistischen Putsch der Fraktionsführung gegen die Fraktionslinke in Sachen Einstaatenlösung.
Die Verfasser wussten und wissen natürlich ganz genau, was ein "extremistischer Israeli" in dem Programm wiederzufinden wünscht: Wünsche die von dem Programmtext mit der Benutzung der Formel des 'Eintretens für das Existenzrechts Israels' mit all ihren Implikationen erfüllt werden, die von den nachfolgenden salvatorischen Klauseln keineswegs behoben werden.

Zuletzt sei wiederholt, dass das Parteiprogramm der LINKEN für die Entwicklung im Nahen Osten natürlich kaum von unmittelbarer Bedeutung ist.
Die Bedeutung des 'Eintretens für das Existenzrechts Israels' liegt vielmehr in dem Bekenntnis zu einem der Eckpfeiler imperialistischer Aussenpolitk (-> 'Regierungsfähigkeit') und in der Absage an linke Essentials, die nicht nur der anti-imperialistischen sondern auch der anti-militaristischen und anti-kapitalistischen Strömung in der LINKEN gilt.

 (ts)

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