Institut für Palästinakunde
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Warum das IPK dazu aufruft die 'Stuttgarter Erklärung' zu unterstützen [20.12.2010]

'Gleichheit oder nichts' - Edward Said Aus der Sicht des Instituts für Palästinakunde (IPK) besteht das Primat der Palästina-Solidarität in dem Recht auf Selbst­bestimmung des palästinensischen Volkes. Die PalästinenserInnen müssen von der Besatzung befreit werden und in ihrer Heimat ein Leben in Würde und Freiheit leben können.

Da diese Forderung den Kern der Stuttgarter Erklärung bildet, eine von TeilnehmerInnen der Stuttgarter Palästinakonferenz Ende 2010 verfasste Grundsatzerklärung, wird sie vom IPK uneingeschränkt unterstützt. Das IPK unterstützt damit auch die in der Erklärung geforderte Einstaatenlösung, d.h. die Forderung nach der Errichtung eines säkularen, demo­kra­ti­schen Staats für Araber und Juden im historischen Palästina.

Schon bei der Abfassung der Stuttgarter Erklärung zeigte sich, dass das Bekenntnis zu einer Einstaatenlösung nicht unumstritten war. Vertreter der althergebrachten Zweistaatenlösung beklagten, die PalästinenserInnen würden durch die Erklärung bevormundet, außerdem sei sie völlig utopisch und führe zu einer Spaltung der Palästinasolidarität.

Im Folgenden setzen wir uns mit diesen Einwendungen auseinander, die wir teils für eine Folge von Missverständnissen, teils für unzutreffend halten.


I. Bevormundet die Einstaatenlösung die PalästinenserInnen?

Dieser Einwand aus dem Mund der Vertreter der Zweistaatenlösung ist kein Argument gegen die Einstaatenlösung, denn die PalästinenserInnen werden durch das Bekenntnis zur Zweistaatenlösung genauso viel oder wenig bevormundet wie durch das Bekenntnis zur Einstaatenlösung.

Dazu sei darauf hingewiesen, dass die PalästinenserInnen vom Beginn der britischen Besatzung bis in die achtziger Jahre an einer Einstaatenlösung festgehalten haben. Die Hinwendung zur Zweistaatenlösung - die 1988 in der Ausrufung eines 'Palästinensischen Staates' in den 67'er Grenzen in Algier kulminierte - war allein das Resultat der Schwächung der palästinensischen Befreiungs­bewegung durch das Wegbrechen gewichtiger Verbündeter. Die Akzeptanz der Zweistaatenlösung basierte darüber hinaus auf der Annahme, dass es möglich sein würde, Israel durch internationalen diplomatischen Druck dazu zu bringen, einen lebensfähigen Staaten auf 22% der Fläche des historischen Palästinas zu ermöglichen. Ein Annahme, die sich bis heute nicht erfüllt hat.

Der Einwand geht auch insofern fehl, als das hoffentlich weder die Vertreter der Einstaaten- noch der Zweistaatenlösung im Falle der Realisierung einer tragfähigen Friedenslösung auf der Imple­men­tierung von einem oder zwei Staaten bestehen werden.


II. Ist die Einstaatenlösung utopisch bzw. unrealistisch?

Dieses Argument muss dem oberflächlichen Betrachter als erschlagend erscheinen. Während die Einstaatenlösung auf den massiven Widerstand der Israelis trifft, die obsessiv an der Vision eines ethnisch reinen Staats festhalten, muss die Zweistaatenlösung nicht erst neu realisiert werden, sie ist bereits da. Die Zweistaatenlösung ist nicht nur bereits da, sie ist auch schon recht alt – mit 17 Jahren, seit Oslo beinahe volljährig, wobei einzuräumen ist, dass man den palästinensischen Staat eher als einen Proto-Staat bezeichnen muss. Genau gesehen haben wir es mittlerweile sogar mit einer Dreistaatenlösung zu tun, mit zwei Proto-Staaten: einem Fatahstan auf der Westbank und einem Hamastan in Gaza.

Die Zweistaatenlösung ist tatsächlich keine Utopie, sondern mehr oder weniger Realität. Aber wie sieht diese Realität aus? Hat die bestehende Zweistaatenlösung einen lebensfähigen palästinen­sischen Staat hervorgebracht? Hat sie die PalästinenserInnen einer selbstbestimmten Existenz näher gebracht? Und falls das nicht der Fall sein sollte, stehen wir nach 17 Jahren eines palästinensischen Proto-Staats nun kurz vor einem Durchbruch hin zur vollständigen palästinensischen Selbst­bestim­mung?

Jeder, der die Entwicklung in Palästina kennt, der um die Perfektionierung der israelischen Institutionen und des Apparats zur ökonomischen und sozialen Zerstörung der palästinensischen Gesellschaft, um den Bau der illegalen Mauer und um die Verdopplung der Siedler weiß, der kann nicht leugnen, dass die Zweistaatenlösung gescheitert ist und dass es keinerlei ernstzunehmende Anzeichen dafür gibt, dass die Besatzer dem palästinensischen Volk eine selbstbestimmte Existenz auf 22% des historischen Palästinas zugestehen werden. Alle Indikatoren weisen vielmehr genau in die entgegengesetzte Richtung, auf die Realisierung mehrerer Bantustans.

Das IPK teilt die Einschätzung der ReferentInnen in Stuttgart,
  dass die Zweistaatenlösung nicht mehr zu reparieren ist,
  dass sie kein Potential mehr hat, um zu einer tragfähigen Lösung zu führen,
  dass sie unvermeidlich in eine Bantustanlösung einmünden wird,
  dass sie den drittklassigen Status der PalästinenserInnen in Israel festschreibt,
  dass sie die Drohung einer Deportation der PalästinenserInnen in Israel herauf beschwört
  und dass sie keinerlei Zukunft für hunderttausende palästinensischer Flüchtlinge bietet.

Vor diesem Hintergrund hält das IPK das Festhalten an der Zweistaatenlösung für einen Fehler. Es ist nicht sinnvoll an einer gescheiterten, nicht zu rettenden Lösung festzuhalten, nur weil sie leichter erreichbar scheint und eine andere sachgerechte Lösung nur deswegen zu verwerfen, weil sie schwieriger zu erreichen sei.

Das IPK weist auch den Begriff der Utopie zurück, der die Einstaatenlösung einem unerreichbaren Nicht-Ort zuordnet.

Auch in Südafrika - dem Staat, in dem die Weißen eine vergleichsweise kleine Minderheit stellten - galt die Errichtung eines demokratischen Staates - gemäß der Forderung 'One man, one vote!' - als utopisch. Selbstverständlich haben die Weißen in Südafrika mehrheitlich die Apartheid unterstützt. Und natürlich gab es auch in Südafrika schwarze 'Führer', die sich von Südafrika instrumen­ta­li­sie­ren ließen, um dem Unrechtssystem ein legitimierendes, schwarzes Gesicht zu geben.

Trotzdem gelang es, der Apartheid in Südafrika ein Ende zu setzen. Und genauso wird es auch in Israel möglich sein – auch mithilfe von Boycott, Divestment und Sanktionen auf allen Ebenen.


III. Spaltet die Einstaatenlösung die Palästina-Solidarität?

Vorneweg sei gesagt, dass die Verfasser der 'Stuttgarter Erklärung' zu keinem Zeitpunkt darauf abgezielt haben, die Palästina-Solidarität zu spalten. Auch die uns bekannten Teilnehmer an der Stuttgarter Konferenz, welche die Erklärung nicht unterschrieben haben, haben dabei das Thema 'Spaltung' nicht in den Vordergrund gerückt.

Damit ist die Frage, ob die Einstaatenlösung die Palästina-Solidarität spaltet, unabhängig von der 'Stuttgarter Erklärung', jedoch noch nicht beantwortet.

Das IPK vertritt dazu folgende Position: Das Primat bei der Lösung des sogenannten Palästinakonflikts liegt in den Händen des palästinensischen Volkes. Das heisst, das IPK wird - was die künftige staatliche Verfasstheit Palästinas betrifft - jede Entscheidung respektieren, die von den Palästinensern mehrheitlich in freier und geheimer Abstimmmung getroffen wurde - oder von einem palästinensischen Gremium, das durch geheime und freie Wahlen zustande gekommen ist.

Wie oben erklärt, schließt sich das IPK dabei der Ansicht der palästinensischen Aktivistinnen und Aktivisten, die in Stuttgart auftraten, an, dass die bestehenden Zweistaatenlösungs-Strukturen und Institutionen den Palästinensern keine Selbstbestimmung, sondern ein Leben in Bantustans unter palästinensischer Verwaltung bringen werden.

(Eine Zweistaatenlösung zum jetzigen Zeitpunkt etwa- mit der jetzt amtierenden, nicht durch freie und geheime Wahlen legitimierten Führung in Ramallah auf der einen und Benjamin Netanjahu auf der anderen Seite - bedeutet, dass der 'status quo' in einen rechtlichen Rahmen gegossen wird, mit dem die Palästinenser bis an das Ende ihrer Tage an den 'status quo' gekettet würden. Das Ergebnis wird ein Bantustan sein, das - und darin liegt die Katastrophe - anders als einst Bophutatswana von der UN als Staat (!) anerkannt sein wird.)

Ungeachtet dieser Überzeugung, ist für das IPK nicht das Bekenntnis zur Ein-Staaten-Lösung entscheidend, sondern das Bekenntnis zum Primat der Palästinenser. Das IPK heisst daher auch all jene Vertreter der Zweistaatenlösung willkommen, die das Primat der Palästinenser anerkennen und die glauben, dass es möglich sei die bestehenden Zweistaatenlösungs-Strukturen und -Institutionen zu reparieren, so dass sie den Bedürfnissen und Rechten der Palästinenser Rechnung tragen.

Ob die Befreiung der PalästinenserInnen zu einem oder zwei Staaten führt, wird die Geschichte erweisen. Die Entscheidung liegt letztlich in den Händen des palästinensischen Volkes.

 (av)

Ergänzende Links:
Lesen & Unterzeichnen Sie hier die 'Stuttgarter Erklärung'
Liste der Unterzeichner der 'Stuttgarter Erklärung'

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