Institut für Palästinakunde
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Gaza: Interview mit 'Gaza Youth Breaks Out' [17.01.2011]

„Ich bin jung, ich will mein Leben leben, aber wo ist meine Freiheit“

von Vera Macht in Gaza

Abu Yazen ist nervös, er hat lange nicht geschlafen. Dass das alles so groß werden würde, so schnell gehen, das hat er nicht geahnt. Er heißt auch gar nicht Abu Yazen, aber seinen richtigen Namen angeben, das geht nicht mehr. Zu groß ist die Gefahr, wenn man an einem Ort wie Gaza seinen Frust in Worte fasst, seinen Ärger auf alles und jeden, die Regierungen und die Welt, die junge Menschen wie ihn vergessen zu haben scheint.

Er ist nur einer von 800000 jungen Menschen in Gaza, die Hälfte der Bevölkerung in dem kleinen, abgeriegelten Küstenstreifen ist unter 18. Er ist einer von denen, die während der ersten Intifada geboren wurden, ihre Kindheit unter israelischer Besatzung verbracht haben, inmitten einer zweiten Intifada, eines Bürgerkriegs, und letztendlich den israelischen Angriff auf Gaza im Winter 2008/9 überlebt haben, dem insgesamt 1400 Menschen zum Opfer fielen. Rund 400 davon waren Kinder. Und seit 2007 lebt er - wie alle hier - unter einer vollkommenen Blockade, auferlegt von Israel, stillschweigend hingenommen von der Weltöffentlichkeit. Sein Zuhause ist ein Gefängnis inmitten des alltäglichen Terrors eines nun mehr als 60 Jahre dauernden Konflikts. „Ich bin jung, ich will mein Leben leben, aber wo ist meine Freiheit“, sagt Abu Yazen leise. „Über mir ist der Lärm der F16, nach ein paar Kilometern treffe ich in jeder Richtung auf von Scharfschützen bewachte Grenzen, und auf dem Meer sehe ich die israelischen Kriegsschiffe.“ Doch normalerweise spricht Abu Yazen nicht leise. Jetzt vielleicht, jetzt ist er müde und erschöpft, und man weiß ja auch nie wer zuhört, am Nachbartisch. Doch normalerweise spricht Abu Yazen sehr laut aus, was ihn hier so frustriert, was ihn verzweifeln lässt. Er ist Mitglied von Gaza Youth Breaks Out, einer Gruppe von fünf jungen Männern und drei jungen Frauen, die ein Aufsehen erregendes Manifest verfasst haben. Ihre Facebook Seite hat innerhalb von ein paar Tagen 13000 Mitglieder angesammelt, die Presse dieser Welt steht Schlange. Doch Abu Yazen und seine Gruppe sind vorsichtig, ihre Facebook-Seite wurde für ihre Kommentare schon vorübergehend gesperrt, und in Gaza kritisiert man die Mächtigen besser nicht öffentlich.

Aber es ist der Gruppe wichtig klar zustellen, dass sich ihre Wut nicht hauptsächlich gegen die entzweiten palästinensischen Parteien richtet, vor allem seit sich die Presse auf ihre Hamas-Kritik gestürzt hat wie auf ein gefundenes Fressen. Aus diesem Grund haben sie ihr Manifest extra noch einmal umgeschrieben, es beginnt nun nicht mehr mit der provokanten Äußerung „Fuck Hamas“.

„[Wir sind] krank, als Terroristen hingestellt zu werden, als hausgemachte Fanatiker mit Sprengstoff in unseren Taschen und dem Bösen in unseren Augen“ so schreiben sie in ihrem Manifest. Abu Yazen stellt klar: „Wir wollen nicht als politisches Werkzeug für die Hetze gegen islamischen Terror missbraucht werden. Israel rechtfertigt sein ganzes Handeln gegen uns damit, dass Hamas an der Macht ist. Aber wir leben seit 60 Jahren unter Besatzung. Die Blockade verstärkt nur den Konflikt zwischen den Parteien, die Spaltung von Palästina, und verhindert, dass wir endlich einen eigenen Staat haben.“ Sie fühlen sich alleine gelassen, ja, inmitten des politischen Streits um Macht und Recht. Im Stich gelassen von ihrer Regierung, von den palästinensischen Parteien, und von der UN, die hier in Gaza überall sichtbar ist, durch ihre Flaggen, ihre gepanzerten Fahrzeuge, aber nur redet, nicht handelt, das werfen sie ihr vor. „Unsere Forderung ist, dass die Blockade endlich beendet wird, und unsere elementaren Menschenrechte von Israel eingehalten werden“, macht einer von ihnen deutlich.“Wenn das erfüllt ist, dann können wir auch unsere innenpolitischen Probleme angehen. Dann werden wir in einer neuen Wahl frei und selbstständig unsere Regierung bestimmen können.“

Sie haben ihr Manifest geschrieben weil sie sahen, wie ihre Situation schlechter anstatt besser wurde, wie aus Besatzung Blockade wurde, aus Gewalt Krieg. Weil sie nicht sahen, dass jemand aktiv für sie Partei ergreift, und sie ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen wollten.

„Wir wollen schreien und diese Mauer aus Schweigen, Ungerechtigkeit und Gleichgültigkeit so durchbrechen wie die israelischen F16 die Schallmauer; [...]“, so schreiben sie mit Feuer und Wut. „Wir sind krank davon, in diesem politischen Kampf gefangen zu sein; [...]; krank von der Schand-Mauer, die uns vom Rest unseres Landes trennt und uns auf einem Stück Land von der Größe einer Briefmarke gefangen hält; krank von der Gleichgültigkeit, die uns von der internationalen Gemeinschaft entgegenkommt, [...]; wir sind krank und müde, ein beschissenes Leben zu leben.“

Gamila ist eine hübsche junge Frau, und wenn sie spricht, dann klingt ihre Stimme klar und bestimmt, man merkt gleich, sie weiß was sie will. Sie ist eine der drei Frauen von Gaza Youth Breaks Out, und was sie will ist ein Leben in Sicherheit und Freiheit für sich und ihre Familie. Sie will erzählen warum sie Mitglied dieser Gruppe ist, wo ihre Verzweiflung herkommt, damit die Menschen „da draußen“ sie verstehen. Denn dass die Menschen „da draußen“ die Wahrheit kennen lernen, das ist erklärtes Ziel der Gruppe.

Gamila lebte ein Jahr in einem Haus ohne Fenster. Fenster gehören zu den Dingen, die von Israel als „Luxusgüter“ erklärt wurden, und nicht auf der eineinhalb Seiten langen Liste an Gegenständen und Nahrungsmitteln standen, deren Einfuhr Israel zur Hochzeit der Blockade an Versorgung für 1,5 Millionen Menschen hineingelassen hat. Für die reicheren Familien Gazas, kommen solche Dinge durch die Tunnel, aber Menschen wie Gamila nützt das wenig. Ein Jahr lebte sie ohne Fenster, bis sie sie im Winter mit Holz verriegelte. Ihre Mutter hatte Krebs, Gazas Krankenhäuser konnten ihr nicht die benötigte Strahlentherapie bieten, die sie brauchte. Als der Arzt ihr sagte, dass sie binnen einer Woche nach Ägypten müsste, da sich ihr Krebs schnell ausbreitete, dauerte es zwei Monate, bis sie die benötigten Genehmigungen erhielt. Zu diesem Zeitpunkt war Krieg, sie fuhr quer durch Gaza inmitten der fallenden Bomben. „Der Krieg war das Schlimmste, was je in meinem Leben passiert ist“, sagt Gamila. „Ich habe mein Haus verlassen, weil es nahe der Grenze ist, und in einer Unterkunft gebetet, dass ich und meine Familie überleben würden.“ Und nun findet sie keine Arbeit, obwohl sie studiert hat, in der desaströsen Wirtschaftslage Gazas, bei der die Arbeitslosigkeit seit der Blockade bei über 45 Prozent liegt. Ein Zustand, der von Israel so geplant wurde, wie Wikileaks kürzlich enthüllt hat: „Im Rahmen ihres umfassenden Embargo-Plans gegen Gaza haben israelische Beamte mehrmals bestätigt, dass sie beabsichtigen, die Wirtschaft Gazas am Rande des Zusammenbruchs zu halten, ohne sie in den Abgrund zu schieben." Eine Ausreisegenehmigung zu bekommen, um woanders Arbeit zu finden, oder ihren Master im Ausland zu. machen, hat Gamila wie die meisten anderen jungen Menschen Gazas vergeblich versucht.

Doch die Hoffnung aufgeben, das kommt für die Gruppe nicht in Frage. „Wir haben ein Ziel vor Augen, und dafür kämpfen wir“, sagt Abu Yazen, und diesem Moment spürt man die Kraft und Willensstärke, die das Manifest verkörpert. Er spricht wieder laut, vergessen ist die Erschöpfung und Bedrohung, die sie von allen Seiten empfinden.

Alle Acht sind gebildet und sprechen sehr gutes Englisch. Sie sind normale junge Menschen, nicht außergewöhnlich reich oder arm, nicht aus außergewöhnlichen Familien, sie verlangen keine außergewöhnlichen Dinge. Außergewöhnlich mutig, das vielleicht sind sie. Mutig genug, um in die Öffentlichkeit zu treten und das zu verlangen, was jedem jungen Menschen dieser Welt zustehen sollte: die elementaren Menschenrechte. Sie mögen aktive Unterstützung der Weltöffentlichkeit und Regierungen brauchen, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, aber jemanden der für sie spricht, das brauchen sie bestimmt nicht. Das können Abu Yazen, Gamila und die anderen sehr gut selbst.

„Wir wollen drei Dinge: Wir wollen frei sein. Wir wollen in der Lage sein, ein normales Leben zu leben. Wir wollen Frieden. Ist das zu viel verlangt? Wir sind eine Friedensbewegung, die aus jungen Leuten in Gaza und Unterstützung an anderen Orten besteht. Wie werden nicht ruhen, bis jeder auf dieser Welt die Wahrheit über Gaza kennt, und zwar so, dass keine stille Zustimmung oder laute Gleichgültigkeit mehr akzeptiert werden wird.

Wir werden damit beginnen, die Besatzung zu zerstören, die uns selber umgibt. Wir werden aus diesem geistigen Gefängnis ausbrechen und unsere Würde und unsere Selbstachtung wiedergewinnen. Wir werden unsere Köpfe hoch tragen, auch dann, wenn wir auf Widerstand stoßen. Wir werden Tag und Nacht daran arbeiten, die elenden Umstände zu verändern, in denen wir leben.Wir werden Träume bauen, wo wir auf Mauern treffen.“

 (ts)

Ergänzende Links:
Gaza: Jugendliche haben die Schnauze voll - Nur in Gaza? (ipk)

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