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Politik (Archiv 2011)
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"Das Tauziehen um Israels Demokratie" (Uri Yaacobi Keller, AIC) [08.12.2011]
Analyse der ambivalenten Rolle des Obersten Gerichts in Israel - sowie der westlichen Partner Israels -, angesichts der Zunahme antidemokratischer Gesetzesinitiativen, die in der Öffentlichkeit als Bedrohung der israelischen 'Demokratie' gelten.
(AIC) Während das Oberste Gericht die Illusion der Demokratie in Israel stützt, scheint Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sich nicht sicher zu sein, wen er glücklich machen soll: die westliche Welt oder die israelische Rechte ...
Die letzten sechs Monate in Israel waren ohne Zweifel eine Periode, in dem der öffentliche Diskurs und die Agenda zunehmend von der radikalen Rechten kontrolliert wurde.
Es handelt sich um eine Zangenbewegung, die auf der einen Seite die Gesetzgebung von anti-demokratischen Gesetzen in der Knesset massiv vorantreibt und auf der anderen Seite eine grosse Gewalt- und Zerstörungswelle durch Siedler-Banden in der Westbank. Diese Trends dringen langsam nach Israel vor, wie die jüngste "price-tag" Aktion gegen das Haus der 'Peace Now' Mitarbeiterin Hagit Ofran belegt, der Direktorin des Siedlungsbeobachtungsprogramms.
Die Rechte beseitigte dazu die kleine Hürde, die in der Mitte des heißen israelischen Sommers entstand - die populäre Proteste, die "soziale Gerechtigkeit" verlangten. Am Anfang versuchten sie auf dieser populären Welle zu mitzureiten, scheiterten jedoch: die von den Siedlern errichteten Zelte blieben isoliert und Miri Regev von der Likud-Partei wurde entblößt, nachdem sie von den Protesten ausgeschlossen wurde. Auch später, als die Rechte die Protestbewegung angriff, gelang es ihr nicht die Stossrichtung des Protests zu ändern. Am Ende überwand sie die Hürde, indem sie das einzig übrig gebliebene tat: sie wartete geduldig auf das Absterben des Protests und setzte dann genau an der Stelle fort, an der sie gestoppt worden war.
Dann ging sie mit noch gröperem Eifer vor, als ob im Sommer nichts geschehen wäre. Als direkte Fortsetzung des berüchtigten Boykott-Gesetzes wurde ein neues Gesetz gegen linke Vereinigungen vorgeschlagen, die es wagen die israelische Besatzung zu kritisieren. Um diese Gesetze zu befestigen, wurden zusätzliche Rechtsvorschriften vorgeschlagen, die den Status des Obersten Gerichts verändern würden, wie jenes vorgeschlagene Gesetz, das eine Anhörung neuer Richter vor der Knesset erzwingen würde.
Tatsächlich würden diese anti-demokratischen Gesetze den Test des Obersten Gerichts mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht bestehen, und es ist wahrscheinlich, dass ihnen nicht einmal die Richter-Marionetten der Rechten zustimmen würden. Nicht weil Israels Oberstes Gericht Menschenrechte und Demokratie besonders schätzt. Das Oberste Gericht ist eine intelligenteres und angeseheneres Gremium, als die Regierung und die Rechte, und agiert als eine Institution, die den Status quo zu bewahren sucht. Obwohl das Oberste Gerichr eine lange Geschichte der blinden Zusammenarbeit mit den israelischen Sicherheitskräften hat, mit der Absicht eine gesetzliche Grundlage für die israelische Besatzungspolitik zu schaffen, versteht das Oberste Gericht, dass die Illusion der israelischen "Demokratie" die stärkste Verteidigung gegen internationale Sanktionen und Druck aus dem Ausland im Besitz der Besatzer ist. Das israelische Oberste Gericht wird dementsprechend alles in seiner Macht stehende tun, um Gesetze zu verhindern, die diese Illusion verletzen.
Die gegenwärtige Situation, die der Beatzung, ist zu bequem für zu viele Menschen, darunter Anzug tragende europäische Politiker. Im Jahr 2000 hat die Europäische Union ein Abkommen mit Israel unterzeichnet, das letzterem bevorzugte Handelsbeziehungen und eine Stärkung der akademischen und wissenschaftlichen Beziehungen verschafft. Einer der Artikel in der Vereinbarung verlangt von Israel ausdrücklich die Achtung von 'Demokratie' und 'Menschenrechten'. Wenn die Europäer wirklich an "Menschenrechten" interessiert wären, dann hätten sie diese Vereinbarung längst annulliert - ganz zu schweigen davon, dass sie diese von Anfang an gar nicht erst unterzeichnet hätten. Die 'Demokratie' aufzugeben könnte jedoch schwieriger sein. Gesetze wie jene, welche die Beiträge zu israelischen linken Organisationen beschränken sollen, würden - falls sie verabschiedet und umgesetzt würden - das Bild Israels als 'westliche Demokratie' - Israels grösster PR-Posten sowie die wichtigste Quelle des Prestiges und der internationalen Autorität des Obersten Gerichts - der Lächerlichkeit preisgeben. Dies würde der Forderung nach BDS sowie den Appellen an internationale Gerichte (wie im Fall der wegen Kriegsverbrechen beschuldigten israelischen Offiziere) plötzlich sehr viel mehr Legitimität geben.
Nehemia Stressler, ein neo-liberaler Journalist der Haaretz, verherrlichte unlängst Yitzhak Rabin und die wirtschaftliche Prosperität, die das Resultat der Unterzeichnung der Oslo-Abkommen gewesen sei. Stressler betrachtet die massive Zunahme von internationalen Investitionen in Israel als ein Ergebnis dieser Vereinbarungen. Ihm zufolge verwandelte sich "Israel von einem Außenseiter zu einem gefragten Land". Und das ist im Kern eine gute Zusammenfassung des globalen Bilds Israels (abgesehen für einen Moment von der Kritik an dem neoliberalen wirtschaftlichen Denken Stressler und Rabin). Stressler hofft, dass Netanjahu wie Rabin handeln wird, ohne zu verstehen, dass Netanjahu selbst das überzeugendste Argument für einen Boykott Israels und der Grund für eine Körperschaften wie das Obersten Gericht ist, alles in seiner Macht stehende zu tun, um der israelischen Rechten nicht nachzugeben und keine Gesetze wie die gegen die NGOs zuzulassen. Dies ist nicht etwa Folge des Widerstands gegen die israelische Besetzung sondern der Versuch, die Besatzung aufrecht zu erhalten.
Netanyahu selber scheint der Wunsch zu fehlen, irgendeinen Schritt in irgendeine Richtung zu gehen. Nachdem beide, die Europäischen Union und die Vereinigten Staaten sich besorgt über die zwei umstrittenen Gesetze geäussert haben, die linksgerichtete NGOs ihrer Mittel berauben sollen, legte Netanyahu die Gesetze effektiv auf Eis. Das heißt, bis er sie wieder auferstehen lässt - vermutlich auf Druck von rechts. Nun äußern die USA wieder ihre Sorgen über die Gesundheit der israelischen "Demokratie". Es ist noch zu bestimmen, auf welcher Seite der Zug ist stärker ist - auf der israelischen Rechten, welche die Ächtung von jedweden Dissens will, oder auf jener der westlichen Politiker, die immer alles politisch korrekt halten wollen, so dass sie Israel weiter wie eine Demokratie behandeln können, die es nicht ist.
Menschenrechtsorganisationen wären gut beraten sich für den Tag vorzubereiten, an dem die Rechte Netanyahu dazu zwingen wird diese Gesetzgebung durchzusetzen und dazu vielleicht Regelungen, um die Versuche des Obersten Gerichts zu neutralisieren, solche Gesetze als illegal zu deklarieren. Europäische Politiker wären gut beraten zu verstehen, dass hinter dem Pokerface Netanyahus keine wirkliche Bedrohung steht - ein solches Gesetz wäre einfach nur ein weiteres kritisches Symptom der israelischen Besatzung, die zum Scheitern verurteilt ist.
(ts)