Institut für Palästinakunde
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Die Anerkennung Palästinas - Ein Desaster, katastrophaler als Oslo [27.07.2011]

Internationale Anerkennung für die PA?

Von Dr. Salman Abu Sitta

Wenn sich nicht politische Weisheit durchsetzt, wenn keine wichtigen Entscheidungen getroffen werden, in denen ALLE Palästinenser vertreten sind, und wenn wir nicht aus den Fehlern der Vergangenheit lernen, indem die vorherige Politik und Methoden verändern und die sie machten auswechseln, dann beginnen wir mit einem Desaster, das größer und katastrophaler ist als das Oslo-Abkommen. Wenn die heutige unnachgiebige Bemühung um einen „unabhängigen Staat Palästinas“ schon vor 1947 bestanden hätte, dann hätten wir begeistert applaudiert und unser Leben dafür geopfert, wie es unser Volk seit 1920 tat.

Die Liga der Nationen erkannte in Artikel 22 seiner „Charta der Unabhängigkeit Palästinas“ vom Meer zum Fluss und von Ras al-Naqura bis Um Rashrash an und platzierte es unter Kategorie A Mandat wie den Irak; das bedeutete einen unabhängigen Staat, der nur Hilfe und Rat von der Mandatsregierung brauchte, um seine Institutionen aufzubauen. Der Irak war der Zwilling von Palästina mit dem Unterschied, dass der Irak ein unabhängiger Staat wurde und Palästina nicht. Das britische Mandat unterminierte diese legale Grundlage, indem es jüdische Immigranten nach Palästina ließ und keine palästinensische parlamentarische Vertretung zuließ, solange die Mehrheit der Bevölkerung Palästinas Araber waren. Dann unterminierten die Zionisten die ganze Grundlage, indem sie Palästina in zwei Phasen eroberte, 1948 und 1967.

Der große Unterschied zwischen der Mandatsperiode und heute ist, dass das palästinensische Volk vor 1947 Bewohner ihrer Heimat waren und zwar seit Tausenden von Jahren dort verwurzelt. Die Forderung nach Unabhängigkeit im Land war deshalb selbstverständlich, wie es der Fall war mit britischen Kolonien und Protektoraten. Heute hat die zionistische Bewegung durch brutale Gewalt seinen Mythos erreicht, dass „Palästina ein Land ohne Volk“ ist, indem sie die palästinensische Bevölkerung ethnisch säuberte. Deshalb ist die Situation, der sich Palästinenser heute gegenüber sehen, sehr verschieden. Die Priorität müsste jetzt sein, dass Palästina noch einmal zu dem Land zurückkehrt, auf dem sein Volk lebt, wie andere Völker in der Welt. Dann kann das Volk für Unabhängigkeit und Freiheit in seiner Heimat kämpfen.

Es ist kein Zufall, dass David Ben Gurion noch bevor er Israel schuf und bevor das Mandat endete, die größte organisierte ethnische Säuberung in der modernen Geschichte ausführte und die Bevölkerung von 220 Städten und Dörfern aus ihrer Heimat Palästina vertrieb: aus der Küstenebene, in Marj Bin Amer und Tiberias, und danach wurden die Menschen aus 400 weiteren Dörfern vertrieben. Es ist auch kein Zufall, dass Israels Mitgliedschaft in der UN mit zwei Forderungen verbunden war: dem Einverständnis mit der UN-Resolution 181 (Teilung des Landes), dass sich Israel zurückziehen muss; und ein Jahr nach der Teilungsresolution die Resolution 194, dass die palästinensischen Flüchtlinge in ihre Häuser zurückkehren in jeden von Israel besetzten Teil Palästinas.

In den 93 Jahren nach der Balfour-Erklärung war es der Plan der Juden, immer mehr Land Palästinas an sich zu reißen. Doch anstatt 80% des historischen Palästina einem arabischen Staat zuzuweisen, wie es die Peel-Kommission 1937 vorschlug oder 45%, wie es der Teilungsplan 1947 vorschlägt, ist der palästinensische Anteil ihres Landes auf nur 20% ihres historischen Landes zusammengeschrumpft. Diese 20% sind das Maximum, das von der palästinensischen Behörde gefordert wird. Es schrumpfte sogar noch weiter: zu nur 5 % von Palästina – nach Benjamin Netanyahus Plan. Klar, jeder UN-Teilungsvorschlag kann unmöglich die ethnische Säuberung eines Teils der Bevölkerung zu Gunsten eines anderen Teils erwarten oder akzeptieren. Es war deshalb kein Zufall, dass die internationale Gemeinschaft darauf bestand, dass Israel als Bedingung seiner Zulassung zu den UN die ethnische Säuberung durch die Rückkehr der Palästinenser in ihre Häuser rückgängig macht. So ist die Rückkehr der Flüchtlinge eine wesentliche Forderung bevor jede weitere Diskussion stattfinden kann, weil das Rückkehrrecht „ein unveräußerliches Recht“ und jeder Souveränitätsanerkennung im ganzen oder in Teilen des Heimatlandes übergeordnet. Solch eine Anerkennung ist ein politischer Akt, der variieren mag entsprechend den politischen Umständen. Wir brauchen nur auf geteilte oder vereinigte Länder schauen, besonders in Europa während des 20. Jahrhundert.

Das Rückkehrrecht ist jedoch nicht nur für Palästinenser heilig, sondern ist auch ein legales Recht, das im Internationalen Recht enthalten ist, das nicht rückgängig gemacht oder weggehandelt werden kann. Es ist keine Ware zum Verkauf. Es ist auch ein individuelles Recht. Das erste Ziel bei der Errichtung der Palestinian Liberation Organisation (PLO) war die Befreiung Palästinas und nicht seine Teilung. Die PLO war ganz sicher nicht geschaffen worden, um die Aufteilung Palästinas legitim zu machen. Die Befreiung Palästinas bedeutet nicht notwendigerweise militärische Operationen; es kann durch andere Mittel erreicht werden, wie man in Indien und Süd-Afrika gesehen hat. Was mit Befreiung tatsächlich gemeint ist, ist ein Ende des zionistischen Siedlerprojektes und seine rassistische Politik, die das Blut von unschuldigen Menschen vergossen und das palästinensische Erbe zerstört hat. Befreiung wird auch die Juden vom Zionismus befreien, der in ihnen einen psychologisch kranken Staat geschaffen, der nach innen Ängste und nach außen Terror verbreitet. Wie Alan Hart schrieb: „Zionismus ist der wahre Feind der Juden“.

Was sollten wir also im kommenden September erwarten, wenn die palästinensische Forderung auf volle Mitgliedschaft der UN auf 20% des historischen Palästina bei der UN beantragt. Warum hat Israel seine Botschafter, seine Lobby im Westen und seine willfährigen Medien dahingehend instruiert, einen Krieg gegen die UN-Anerkennung Palästinas zu führen.

Wenn die Anerkennung verweigert wird, bleibt der Status quo, aber wenn sie akzeptiert wird, was macht dies für einen Unterschied? Es ist unnötig zu sagen, dass die NATO niemals benützt wird, um den Willen der internationalen Gemeinschaft zu erfüllen, wie sie es in vielen anderen Fällen getan hat. Die UN mag Israels Aggression und Besatzung des Gebietes „eines unabhängigen Mitgliedstaates“ verurteilen. Aber solch eine Verurteilung wird einfach noch ein paar Zentimeter zu dem Haufen vieler Resolutionen, die der zionistische Staat ignoriert hat, hinzufügen. Da es von den USA unterstützt wird, wird es in der Lage sein, ohne eine bloße Drohung von Sanktionen weiter zu machen. Aber was gefährlicher und wahrscheinlicher ist, ist, dass so der Weg für „Friedensverhandlungen“ bereitet werden, unterstützt von Europa und Amerika, die einen palästinensischen Ministaat akzeptieren. Wir können es jetzt sehen: nach „harten Verhandlungen“ und „schmerzvollen Konzessionen“ wird ein Abkommen erreicht werden und Feierlichkeiten werden auf dem Rasen des Weißen Hauses mit Händeschütteln und einem Lächeln rund herum erreicht werden. Dieser Ministaat wird ein Nichts sein, das sich nicht verteidigen kann, keine Kontrolle über seine Grenzen, den Luftraum oder Land hat; keine Kontrolle über seine Wasserressourcen; und über seine endgültigen Grenzen wird man sich durch Landtausch einigen und möglicherweise durch erzwungenen Transfer von Menschen. Dies ist genau der Mini-Staat, nachdem sich Shimon Peres und Ehud Olmert sehnten und von dem sie glaubten, er sei unbedingt nötig, weil sonst „Israel am Ende sei“.

Das Schlüsselwort in diesem Szenarium ist „Landtausch“. Ein Projekt, das Netanyahu und sein rassistischer Außenminister Avigdor Liebermann unterstützen, ist seit Jahren von einem Team geplant worden, das von dem russischen Gideon Biger von der Uni Tel Aviv geleitet wird. Es enthält die Vertreibung der Palästinenser aus Israel selbst (wo sie ein Fünftel der Bevölkerung Israels ausmachen) und das Leben für die Palästinenser in der Westbank unerträglich machen, sodass sie „freiwillig“ gehen.

Dieser Plan übersieht eine einfache Sache: Israel gehört das Land nicht, das es 1948 besetzte oder die Gebiete, die es 1967 besetzte. Deshalb ist das Prinzip des Landtausches rechtlich ein Blindgänger. Auf der palästinensischen Seite ist ein Landtausch im Gegensatz zu den Glaubenssätzen der Palästinensischen Nationalcharta, die zu Einheit auf palästinensischem Boden aufruft (so übrigens auch in der Mandats-Charta) und kann deshalb nicht von irgend einer legitimen Nationalführung akzeptiert werden.

Aber was noch schlimmer ist, ist, dass solch ein Vorschlag das verstorbene Oslo-Abkommen legitimiert und verewigt. Obwohl die Teilung der Westbankgebiete in Zone A, B und C als eine vorübergehende Maßnahme gedacht war für die bevorstehende Errichtung eines palästinensischen Staates 1999 in der ganzen Westbank und im Gazastreifen, hat Israel diese Teilung vor Ort praktisch, rechtlich und verfahrenstechnisch gefestigt.

Also wird die große Zone C unter Israels Herrschaft bleiben, während Zone B praktisch unter Israels Herrschaft bleibt, wo es zu jeder Zeit jeden verhaften kann, aber Gemeindeaufgaben und Straßenreinigung der palästinensischen Behörde überlässt. Amira Hass schrieb in Israels Tageszeitung Haaretz, die Zone B ist eine Versteck für Diebe und Drogenhändler geworden und die PA wagt sich nicht sich, hier einzumischen.

Zone A wird der Käfig sein, in dem die Palästinenser der Westbank und diejenigen, die aus Israel ethnisch gesäubert werden, eingesperrt werden. Sie werden in der Lage sein, die Flagge eines „unabhängigen palästinensischen“ Splitterstaates zu hissen. Diese Nichtentität wird keine Ähnlichkeit mit dem „Staat Palästina“ haben, wie er vom Völkerbund 1920 anerkannt und sich vorgestellt wurde und wird auch nicht das Palästina sein, wie es von der Geschichte und dem palästinensischen Volk definiert und bekannt ist. Alle nationalen palästinensischen Rechte würden in diesem „Staat“ aufgehoben oder reduziert werden, einschließlich des unveräußerlichen Rückkehrrechtes. Solch eine „Rückkehr“ würde als Rückkehr in den palästinensischen Splitterstaat interpretiert werden, nicht in die ursprünglichen Häuser der Flüchtlinge. Da der Käfig zu klein sein wird, werden die Flüchtlinge aus dem Palästina von 1948 ständig im Exil bleiben müssen.

Es ist deshalb offensichtlich, dass Palästina während eines inklusiven demokratischen Prozesses, der alle Palästinenser einschließt, (nicht nur die von der Westbank und dem Gazastreifen) eine neu gewählte Führung braucht. Die Flüchtlinge in den Lagern in Jordanien, Syrien und dem Libanon müssen eingeschlossen sein und jene in der Diaspora auch. Sie gehören zum ersten Wahlkreis. Die neue Führung wird in der Geschichte und Geographie und den Rechten des palästinensischen Volkes gut informiert und gut vorbereitet sein, um sie zu verteidigen. Der hoch geachtete Schriftsteller Ghassan Kanafani sagte: „Wenn der Anwalt den Fall verliert, lasst uns den Anwalt wechseln, nicht den Fall.“


Dr. Salman Abu Sitta ist der Generalkoordinator des Rückkehrrecht-Kongresses. Er ist der Autor des bemerkenswerten Palästina-Atlas, der in sorgfältigen Details die Infrastruktur Palästinas dokumentiert - 1300 Städte und Dörfer und 11 000 Grenzsteine, einschließlich ursprünglicher Namen – bevor Israel 1948 entstand. Es ist ein Lebenswerk. Der Atlas Palästinas 1948 kann bei der Palestine Land Society erworben werden: info@plands.org

One Democratic State Group: (dt. Ellen Rohlfs)

 (ts)

Ergänzende Links:
Palestine Land Society
Sender freies Palästina

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