Institut für Palästinakunde
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30. März - Tag des Bodens (Palästina 2, 1988) [30.03.2011]

Die Toten von Sakhnin (1976) von Saadi Hamzeh

Der 30. März wird von allen Palästinensern innerhalb und außerhalb Palästinas als "Tag des Bodens" begangen. Am 30. März 1976 hatte das "Komitee zur Verteidigung des arabischen Bodens" aus Protest gegen kurz zuvor erfolgte Landenteignungen in Galiläa zum Generalstreik aufgerufen. Obwohl der Streik legal und öffentlich angekündigt war, griffen die israelische Armee, die Polizei und die Grenzpolizei in voller Kampfausrüstung mehrere arabische Dörfer in Israel an. Drei davon - Deir Hanna, Arabeh und Sakhnin noch am Vorabend des Streiks. Bei dieser Aktion wurden 10 Menschen verletzt und drei getötet. Am Tag des Generalstreiks kam es zu heftigen Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften, die das Feuer auf die Demonstranten eröffneten. Drei weitere Menschen wurden getötet, 69 schwerletzt ins Krankenhaus gebracht; insgesamt 260 Personen wurden verhaftet.
Der "Tag des Bodens" war geboren. Seither demonstrieren die Palästinenser von der Wüste des Negev bis zu den Hügeln Galiläas, in der Westbank wie im Ghazastreifen an diesem Tag gegen die israelische Landenteignungspolitik.

Die Judaisierung Galiläas

Hintergrund der Ereignisse vom März 1976 war die israelische "Judaisierungspolitik", mit der eine arabische Bevölkerungsmehrheit verdrängt werden sollte. Der nach dem Gouverneur von Galiläa benannte "König-Plan", der vom israelischen Kabinett am 1. März 1976 beschlossen und wegen seiner rassistischen Implikationen berüchtigt wurde, sah die Enteignung von 1.500 Morgen Land in Nord- und 6.000 Morgen Land in Südgaliläa vor. Dieses Land sollte für den Bau jüdischer Appartments, Schulen und der Errichtung von Industriebetrieben genutzt werden. Damit, so die Hoffnung der israelischen Regierung, werde sich langfristig die demographische Zusammensetzung Galiläas verändern. Die "jüdische Präsenz" wurde von der israelischen Regierung umso höher bewertet, als Galiläa laut UN-Teilungsplan von 1947 nicht zu Israel, sondern zum palästinensischen Staat gehören sollte. Der Forderung nach Rückgabe dieser Gebiete bei zukünftigen Friedensverhandlungen wollte man durch diese Maßnahmen begegnen.

Der Vater der Judaisierungsidee

Der geistige Vater der Judaisierungsidee war Joseph Nahmani. Nachmani war von 1935 bis zu seinem Tod im jahre 1965 Chef der mächtigen Institution Keren Kayemet (Landbeschaffungsbehörde der Jewish Agency). Nahmani konnte es nicht verwinden, daß nach der Errichtung des Staates Israel Araber in "seinem" Galiläa verblieben waren. Im Januar 1953 schickte Nahmani ein Memorandum an Verteidigungsminster Ben Gurion, das mit den Worten begann: "Obwohl West-Galilä jetzt besetzt ist, ist es noch immer nicht von seiner arabischen Bevölkerung freigemacht worden, wie das in anderen Teilen des Landes geschah. Es gibt noch immer 51 Dörfer und die Stadt Nazareth, deren Bewohner nicht gegangen sind - insgesamt sind das 84.000 Araber, die 929.549 Dunum (etwa 93.000 Hektar Land) ... meist als Bauern kontrollieren. Es sind 45 % der arabischen Minorität im Land. Sie leben in einem abgeschlossenen Gebiet, das sich direkt bis zur Grenze des arabischen Libanon hinzieht." Aus diesen Gründen erachtete Nahmani es als "wesentlich, diese Konzentrierung von Arabern durch jüdische Siedlungen zu durchbrechen... Und was diese jüdischen Siedlungen anbelangt, die inmitten arabischer Gebiete entlang der libanesischen Grenze errichtet werdne sollten, könnte es aus Gründen der Vorsicht besser sein, keine aus arabischen Ländern neu angekommenen Juden dorthin zu senden." Es sei vorteilhafter, speziell ausgebildete Mitglieder der Jugendbewegung dorthin zu schicken.

Neuauflage

Im Jahre 1976 wurden diese Pläne wieder aus der Schublade geholt und aufpoliert. Neu am "König-Plan" waren insbesondere Maßnahmen, die den Arabern den höheren Schulbesuch sowie wie den Zugang zu bestimmten Berufen untersagen sollte. Im Rahmen der Landenteignung verfolgte diese Politik zwei Ziele:

1. Jüdische Siedlungen inmitten von fast ausschließlich von Palästiensnern bewohnten Gebieten zu errichten, sodaß Israel im Falle eines teritorialen Kompromisses zusätzliche Ansprüche auf diese Gebiete gelten machen könnte.
2. Die Wirtschaftsstruktur der palästinensischen Bauern dadurch zu zerstören, daß diese aufgrund der Landenteignung gezwungen werden, sich als Lohnarbeiter in der israelischen Wirtschaft zu verdingen, wodurch sie zugleich von dieser Wirtschaft abhängig werden.

Noch im Jahre 1985 enteigneten die israelischen Behörden Land in Sakhnin und fällten alte palästinensische Olivenhaine. Die arabischen Städte und Dörfer werden in der Entwicklung behindert. Mittel zum Bau von Straßen, Kanalisation, Schulen u.a. wird ihnen vorenthalten. Bauland wird ihnen durch israelische Entwicklungs- und Strukturpläne verweigert. Der "Rat der arabischen Bürgermeister" hat wiederholt zu Generalstreiks aufgerufen, um gegen diese Ungleichbehandlung zu protestieren. Der "Tag des Bodens" ist deshalb auch immer ein Tag des Kampfes gegen die Diskriminierung der palästinensischen Minderheit in Israel.

Gespräch mit dem Bürgermeister von Sakhnin

"Unser Dorf ist überbevölkert. Das liegt insbesondere daran, daß unser Boden rings um das Dorf beschlagnahmt wurde, Land, das wir früher landwirtschaftlich genutzt haben. Auf dem wenigen kultivierbaren Land, das uns noch geblieben ist, müssen wir heute die Häuser für unsere Kinder bauen. Doch selbst dafür wird zumeist die Baugenehmigung verweigert. Stattdessen sind die Ländereien der jüdischen Siedlungen bis zum Rand von Sakhnin vorgedrungen, so daß sich das Dorf kaum noch ausdehnen kann. Wir fühlen uns wie in einem Ghetto, das von spanischen Reitern und Stacheldrahtverhauen eingeschlossen ist. Und ohne Boden können wir Araber hier kaum leben, denn bisher haben wir fast alle von der Landwirtschaft gelebt. So wird aus uns eine Schwarzarbeitergesellschaft und - falls wirtschaftlich notwendig - ein neues Industrieproletariat. Aber auch die Bauern, die sich bis heute halten konnten, weil ihnen ihr Land nicht vollkommen genommen wurde, haben immer größere Schwierigkeiten. Ihnen wird z.B. nicht genügend Wasser für die Bewässerung ihrer Felder zur Verfügung gestellt. Obwohl sie nur einen geringen Teil dessen benötigen, was die jüdischen Farmer zur Bewässerung ihrer Böden verwenden, wird den arabischen Bauern die Genehmigung verweigert. Am Ende des Dorfes befindet sich ein kleiner Teich, dessen Wasser wir aber nicht benutzen dürfen. Sogar den Kindern ist bei Strafe das Baden verboten."

 (ts)

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