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Politik (Archiv 2010)
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2010102600
Auf dem Irrweg des 'Friedens' und der 'Gewaltlosigkeit' (1)
'Frieden wird das Ergebnis der Befreiung sein, nicht ihr Ausgangspunkt' (Moshe Machover) [26.10.2010]
Befasst man sich mit dem Thema Palästina, so trifft man überall auf Experten, die unablässig dem Frieden und der Gewaltlosigkeit das Wort reden, und dabei völlig verkennen, daß sie objektiv das Geschäft der Besatzer betreiben und der ethnischen Säuberung Palästinas Vorschub leisten.
Dieser fatalen Entwicklung möchten wir mit einigen Artikeln in loser Folge entgegen treten.
Den Anfang macht ein Artikel von Moshe Machover.
Warum ich kein israelischer Friedensaktivist bin
Während der planlose "Friedensprozess" zwischen zwecklosen Treffen und
sinnlosen Meetings der Chefs des israelischen Siedlerstaates und der
machtlosen palästinensischen Behörde mäandert, begleitet von den USA, die
den Part des unehrlichen Vermittlers spielen, kann kein Zweifel mehr
daran bestehen, daß dies eine von Scharlatanen inszenierte Scharade ist.
Aber hinter und über diesen ziemlich offensichtlichen Schwindel hinaus gibt es eine weitaus subtilere Täuschung bzw. Selbsttäuschung: die weit verbreitete - oft für selbstverständlich gehaltene - Annahme, daß es der Frieden sei den man bräuchte, um den israelisch-palästinenischen Konflikt zu lösen. In anderen Worten, daß das was man bräuchte ein echter Friedensprozess sei, anstelle des gegenwärtigen, gefälschten.
Diesem Glauben hängen beinahe allen wohlanständigen, aufgeklärten Israelis
(die sogenannte israelische Linke) an - die sich daher selber kollektiv
als das 'Friedenslager' und individuell als 'Friedens-Aktivisten' bezeichnen
- und der wird von ihren Freunden und Unterstützern im Westen geteilt.
Die Linkszionisten von 'Peace Now' genauso wie die sanften und die
Halb-Zionisten von 'Gush Shalom' (Friedensblock) zeigen diese
Selbsttäuschung auf ihren Schildern. Die nichtzionistische,
vom Stalinismus zum Reformismus gedrehte kommunistische Partei Iraels
besteht darauf Friedensslogans an die vorderste Stelle zu rücken.
Viele der Aktivitäten, an denen diese guten Menschen teilnehmen sind
hochlöblich: Widerspruch gegen die unterdrückerischen Politiken und Aktionen
der israelischen Behörden, insbesondere die Opposition gegen die Nach-1967er
Besatzung. Einige von ihnen zeigen bei verschiedenen Solidaritätsaktionen
mit den unterdrückten Palästinensern echten moralischen und physischen Mut.
Dennoch offenbart ihre Selbstbeschreibung als 'Friedensaktivisten' ein
profundes Missverständnis der Natur des israelisch-palästinensischen
Konflikts und eine Täuschung hinsichtlich der Frage, wie er gelöst werden
könnte.
Das so entstehende Bild ist im wesentlichen symmetrisch: zwei Seiten, zwei Nationen im Krieg miteinander, verstrickt in eine Reihe von Kämpfen über ein Stück umstrittenes Land. Um den Konflikt zu beenden müssten beide Seiten den Krieg beenden, sich zusammen setzen und Frieden machen.
Faktisch ist das auch das Bild, daß die israelische Hasbarah (Propaganda)
befördert. Sie liebt es symmetrisch von "Krieg" und "Frieden" zu sprechen.
Daher beschreiben Israel und seine Freunde den Angriff auf Gaza im Winter
2008-2009, Codename 'Operation Cast Lead', als einen "Krieg". In der
Realität war es kein Krieg: Es gab praktisch keine Kämpfe. Es war ein
einseitiges Massaker.
Analog dazu besteht die israelische Diplomatie darauf, das 1967
eroberte Territorium als 'umstritten' zu bezeichnen - eine überlegt
symmetrische Beschreibung - und nicht als 'besetzt'.
Was den Frieden betrifft. niemand wünscht ihn brennender wie die
meisten Führer Israels. Ich sage das ohne eine Spur von Ironie. Es ist die Wahrheit.
Nur sehr wenige Leute - Psychopathen, Waffenhändler und andere Kriegsprofiteure, sowie
auch einige zynische Karriere-Demagogen und Offiziere, die begierig auf eine
schnelle Beförderung sind - ziehen den Krieg tatsächlich jeder Art von Frieden vor.
Ich denke, daß einige israelische politische und militärische Führer zu einer
der beiden Ausnahmekategorien gehören. Aber die meisten der israelischen Führer
wollen aufrichtig Frieden - einen Frieden nach israelischen Bedingungen: ihr
sehnlichster Wunsch ist, daß das pal. Volk - enteignet und unterjocht - sein
Los friedlich akzeptiert und den Kampf aufgibt.
Kolonialer Konflikt
Der Schlüssel für das richtige Verständnis des Konflikts liegt darin,
daß er extrem asymmetrisch ist: zwischen Siedler-Kolonialisten und einem
indigenen Volk. Es geht um Enteignung und Unterdrückung.
Wie bei anderen
kolonialen Konflikten, hat der israelisch-palästinensische Konflikt zu
richtigen Kriegen zwischen Israel und benachbarten Staaten geführt; aber
dies waren Seiteneffekte, Konsequenzen aus der fundamentalen Ursache: der
zionistischen Kolonisierung Palästinas. Solange die Kolonisierung fortschreitet
und expandiert, wird Israel seine regionale Hegemonie als lokaler
Subkontraktor des Imperialismus aufrecht erhalten müssen, was zweifellos
neue Kriege provozieren wird.
In kolonialen Konflikten betrachten sich die Kolonisatoren immer als im Namen des Friedens kommend, als überbringer der Geschenke der Aufklärung und des Fortschritts. Es sind die rückständigen Eingeborenen, welche die Agressoren sind, die auf Gewalt gegen ihre Wohltäter zurückgreifen. Das zwingt die Kolonisatoren ihre überlegene Macht einzusetzen, um die Aggression der Eingeborenen niederzuschlagen. Die letzteren dürfen dafür nur sich selber anklagen.
Ich glaube, das ist genau die Sache, die mein später Freund, der sozialistische Poet Erich Fried, im Sinn hatte, als er folgendes Gedicht schrieb:
Clean Sweep
The causes
now fight
their effects,
so that one can no longer
hold them
responsible for the effects;
for even
to make them responsible
is part of the effects
and effects are forbidden
and punished
by the causes themselves.
They do not wish
any longer
to know about such effects.
Anyone who sees
how diligently
they pursue the effects
and still says
that they are
closely connected with them
will now have to
blame
only himself.
Während das Ziel der Kolonisatoren darin besteht einen Frieden zu diktieren -
nach deren eigenen Vorstellungen, und wenn nötig mit Gewalt - tendiert das
indigene Volk zu einer ganz anderen Sicht der Dinge. Ihre Sache ist
nicht Frieden mit denen zu machen, die sie enteignen, sondern sich der
Enteignung zu widersetzen. Um dieses Ziel zu erreichen setzen sie zumeist
nicht auf den Frieden, sondern auf das Schwert.
Darum findet man schwerlich Friedensaktivisten unter den amerikanischen Indianern
oder den Aborigines Australiens, die sich im 19. Jahrhundert der Kolonisierung
widersetzten, oder unter den algerischen Befreiungskämpfern oder den militanten
Anti-Apartheids Kämpfern im 20. Jahrhundert.
Natürlich unterstützen die israelischen Friedensaktivisten nicht alle der
harschen 'Friedensbedingungen', die ihre Regierung dem palästinensische Volk
aufzuerlegen wünscht (obwohl einige von ihnen sich manchen dieser ungleichen
Bedingungen nicht widersetzen).
Aber durch ihre reduzierte Definition der Frage als Friedensfrage akzeptieren
sie wissentlich oder unwissentlich eine Sichtweise, die den Kolonisatoren den
Vorrang gibt.
Diese verzerrte Sicht verträgt sich nicht mit Internationalismus. Deswegen können die israelischen selbsternannten Friedensaktivisten keine echten Sozialisten sein. Israelische Sozialisten, ob Hebräer oder Araber, kämpfen gegen das zionistische Projekt und seine Praktiken: Kolonialisierung, Enteignung, Diskriminierung; und für gleiche Rechte und universelle Freiheit.
Frieden wird das Ergebnis der Befreiung sein, nicht ihr Ausgangspunkt
(Quelle)
(ts)