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IPK - Jahresrückblick 2010 [04.01.2011]

IPK-Jahresrückblick 2010 Nach der detaillierten Jahreschronik 2010 finden Sie im folgenden einen Rückblick auf das vergangene Jahr.

Auf das, was das IPK für bemerkenswert hält - und was für das kommende Jahr zu befürchten oder zu erhoffen ist.


Highlights 2010

Die internationalen Nachrichten aus Palästina des vergangenen Jahres wurden durch zwei Ereignisse dominiert: Durch den blutigen Überfall der israelischen Marine auf die Gazaflottille im Juni und den Kollaps des Friedensprozesses infolge der selbstmörderischen Nahost-Politik der amerikanischen Administration.

Zu den für die deutsche Palästina-Solidaritätsszene bedeutenden Ereignissen des vergangenen Jahres gehören:
- der Hungerstreik von Firas Maraghy vor der israelischen Botschaft mit dem Ziel, für seine Familie eine permanente Aufenthaltsgenehmigung in Ost-Jerusalem zu bekommen
- der Versuch von Mitgliedern der 'Europäischen Juden für einen gerechten Frieden' (EJJP) mit einem eigenen, jüdischen Boot, der 'Irene', nach Gaza zu gelangen
- und die 'Gipfelkonferenz' der deutschen Soli-Bewegung mit prominenten palästinensischen Referenten und Referentinnen in Stuttgart.


Trends 2010

International

Mit seiner geradezu suizidalen Nahostpolitik, ist es dem Friedensnobelpreisträger Obama gelungen, den Friedens­prozess endgültig zu ruinieren. Obama, der in Kairo als Tiger zum Sprung ansetzte, und dabei der muslimischen Welt die Hand entgegen streckte, landete in Jerusalem als tote Katze vor den Füßen Netanjahus. Anfangs auf einem totalen Baustop bestehend - der von Israel dann trotz eines offiziellen Moratoriums nie eingehalten wurde - bot Obama am Ende für eine dreimonatige Verlängerung des unechten Baustopps die Garantie an, dass er Israel danach nie wieder wegen eines Baustopps belästigen werde.

Netanjahu war sich seiner Truppen in der USA inzwischen soweit sicher, dass er freundlicherweise auf das Angebot Obamas verzichtete, sich nach drei Monaten des Abwartens vollends zu entmannen.

Man muss dabei allerdings auch auf den tiefen Unernst des Friedensprozesses auf allen Seiten - inklusive der PA in Ramallah - hinweisen. Die 1.5 Millionen Palästinenser in Gaza auszuklammern, weil man mit der 'radikal-islamischen' HAMAS nicht reden dürfe, das ist keine Politik, sondern eine Komödie. Ein Komödie im Interesse Israels, das den Status quo - der ihm die ungestrafte Ausplünderung und Filetierung Palästinas ermöglicht - jedem Frieden vorzieht, so wie auch die PA, die sich für die 'Sterbebegleitung' der Ansprüche und Rechte des palästinensischen Volkes bezahlen lässt.

Mit dem kläglichen Ende des Friedensprozesses ist auch die Zweistaatenlösung am Ende angelangt, auch wenn einige von diesem scheinbaren Königsweg nicht ablassen wollen. (Das es eine Zweistaatenlösung genausowenig geben kann wie eine halbe Schwangerschaft scheint die Anhänger nicht weiter zu stören.) Man kann jedoch davon ausgehen, dass all jene, die von dieser Illusion profitieren - speziell die PA und deren europäische Finanziers - nichts auslassen werden, um die Leichen des Friedensprozesses und der Zweistaatenlösung als quicklebendig erscheinen zu lassen.

Insgesamt ist kein Ende der Appeasement-Politik der USA und der EU gegenüber Israel absehbar. Auf jede neue Grenzüberschreitung Israels - zuletzt die Ankündigung Liebermans vor der UNO, die arabischen Bürger Palästinas 'transferieren' zu wollen - reagiert die internationale Gemeinschaft unablässig mit Nachgeben und Zurückweichen, als hätte es München nie gegeben.

Die Bande (!) zwischen Israel und der EU - in der inzwischen völkische Sozialdarwinisten wie Sarrazin und rassistische Anti-Islamisten wie Wilders gleich Pilzen aus dem Boden sprießen - scheinen sich sogar noch zu verstärken. So wurde Israel – obwohl weder ein demokratischer noch ein säkularer Staat – im vergangenen Jahr Mitglied der OECD.

Die EU hat zwar per Gerichtsurteil erklärt, dass die in den illegalen Siedlungen produzierten Produkte nicht unter das Zoll-Präferenzabkommen mit Israel fallen würden. Absichten, etwas gegen die illegal in der Westbank operierenden israelischen Firmen zu unternehmen, die nun gefälschte Herkunftsbezeichnungen benutzen, sind bisher nicht erkennbar.

Eine positive Entwicklung gibt es jedoch in der Zivilgesellschaft. Dass zeigen nicht nur die vielen internationalen Friedenskonvois und Flottillen nach Gaza - sondern auch der Umstand, dass die BDS-Bewegung, die überall - mit Ausnahme Deutschlands - Fuß gefasst hat, von Israel mittlerweile als Bedrohung ernst genommen wird.

Palästina

Mit dem Wegfall der USA als Vermittlerin entfällt - für den auf den Bajonetten einer von den USA trainierten Miliz regierenden - Ministerpräsidenten Fayyad der einzig Hoffnung versprechende Ansprechpartner, für die von ihm und 'Präsident' Abbas personifizierte Zweistaatenlösung.

Der letzte Versuch Fayyads und Abbas, ihre Stühle, zu retten besteht darin, nun auf die machtlose - dazu von den USA dominierte - UN zu setzen. Diese - so hoffen Fayyad und Abbas - soll die Zweistaatenlösung anscheinend per UN-Resolution herbeiführen, so wie sie einst den Staat Israel erschuf.

Was Fayyad und Abbas dabei zu übersehen versuchen ist, dass der israelische Staat nicht durch die UN-Resolution zur Realität wurde, sondern durch die Truppen und Waffen der Hagana und der mit ihr verbundenen terroristischen Milizen. Oder soll man annehmen, dass Fayyad und Abbas glauben, dass Israel Angst hätte, sich über Beschlüsse der UN hinwegzusetzen?

Nach dem absehbaren Scheitern dieses Versuches wird sich die PA im besten Fall in ihre Bestandteile zerlegen. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass sie sich wie gehabt als Subunternehmer für die Administration der sich abzeichnenden Bantustans anbieten wird, woran alle - die EU, die USA, die PA und Israel - interessiert sein werden. Dieses Projekt - für das sich neben dem semifaschistischen Außenminister Israels kürzlich auch der GRÜNE Ex-Außenminister Josef Fischer in der SZ eingesetzt haben, trägt den Namen 'Interimsabkommen'.

Auf die hiesigen Hasbara-Batallione wird in jedem Fall wieder viel Arbeit zukommen.

Israel

In Israel befand sich 2010 eine Regierung im Amt, die von dem liberalen Linkszionisten Uri Avneri umstandslos und korrekt als faschistoid bezeichnet wurde. Israel ist extrem weit nach rechts gerückt. Die Schüler des Faschisten Kahane - der in den 80'ern noch geächtet wurde - sitzen heute am Kabinettstisch.

Das bleibt nicht ohne Folgen.

Auf den Versuch eines internationalen, humanitären Hilfskonvois über See, in das von Israel kontrollierte Gefängnis und humanitäre Katastrophengebiet namens Gaza zu gelangen, antwortete Israel in der ihm eigenen Art und Weise: Mit der Liquidierung von neun Teilnehmern auf der 'Mavi Marmara', die den Fehler begingen, zu versuchen sich den israelischen Elitesoldaten mit Steinschleudern und Knüppeln in den Weg zu stellen. Das nicht auch bei der Enterung des später nachfolgenden 'Jüdischen Boots', der 'Irene', Tote zu beklagen waren, ist nur glücklichen Umständen zu verdanken.

Danach traten in Deutschland wie üblich die Hasbara-Batallione auf den Plan, die sich mühten, die israelischen Entführer und Mörder zu Opfern und die tollkühnen Verteidiger der Mavi Maramara zu Tätern zu erklären.

Dies fiel ihnen umso leichter, als von dem Angriff nur die Sequenzen von der ersten Angriffswelle gezeigt wurden, bei der es den Verteidiger gelang, die Soldaten der israelischen Eliteeinheit zurückzudrängen. Diese Filmsequenz - in der die bedrängten Angreifer als Opfer erscheinen - wurde wieder und wieder abgespielt und dazu unermüdlich das Märchen von dem Angriff der Verteidiger der Mavi-Marmara auf die Elitesoldaten wiederholt.

Nicht einer der deutschen Nachrichten-PräsentatorInnen schien willens, die Sequenz korrekt in die Geschehnisse einordnen oder auch nur einen Millimeter professionelle/journalistische Distanz vorführen zu wollen. Keiner der Damen und Herren war sich zu schade, sich so zum Befürworter des Angriffs auf einen unbewaffneten, humanitären Hilfskonvoi zu machen.

Die Hasbara-Netzwerke der israelischen Besatzer funktionieren hierzulande immer noch wie frisch geölt. Ein inhaltlicher Unterschied zwischen FOX-NEWS und tagesthemen war jedenfalls nicht zu erkennen.

Neben der Internationalisten waren es die Palästinenser in der Westbank und in Israel, die 2010 in weit größerer Zahl zu Opfern einer wahren Springflut aus rassistischer Gewalt und Vertreibung wurden. Eine Springflut, die mit dem Ende des Friedensprozesses vermutlich noch weiter anschwellen wird, entfällt mit dessen Ende doch auch der letzte Grund für eine gewisse Zurückhaltung bei der Ausplünderung und Vertreibung der Palästinenser.

Ein Fallbeispiel ist die mittlerweile achtmalige Zerstörung der Beduinensiedlung Al-Arakib im Negev, wo sich der in Deutschland gemeinnützige (!) Jüdische Nationalfonds (JNF) bemüht, den Beduinen das in den 50'er Jahren gestohlene Land endgültig zu entwinden. Dazu kommt die Fortsetzung der ethnischen Säuberung des Jordantals - etwa in Al-Farisiya, der Landraub und die Vertreibungen z.B. bei Nablus und Hebron und der forcierte Versuch, Ostjerusalem araberrein zu machen, zur Zeit ganz speziell in Silwan.

Passend dazu fordern städtisch angestellte Rabbis in Safed dazu auf, keine Wohnungen an arabische Studenten zu vermieten, nur zum Schutz jüdischer Frauen natürlich. Gleichzeitig werden Gesetze erlassen, die es den Kommunen erlauben, den Zuzug von Nichtjuden per Verordnung zu unterbinden.

Neu sind die Versuche der israelischen Regierung, die legale Opposition im eigenen Land zu knebeln. Etwa indem versucht wird, sie von finanzieller Unterstützung aus dem Ausland abzuschneiden. (Dergleichen geschieht auch im Ausland. Siehe den Versuch in Holland, die Betreiber der Webseiten von 'electronic intifada' finanziell auszutrocknen.)

Ein neues Mittel sind auch geheime Verhaftungen von Oppositionellen wie etwa dem Bürgerrechtler Ameer Makhoul oder von Presse-Informanten wie der Soldatin wie Anat Kam - über die nicht berichtet werden durfte.

Nicht zu vergessen Gaza,wo die Besatzer regelmäßig Palästinenser in der zu Gaza gehörenden 'Pufferzone' töten, die dort versuchen, ihre Felder abzuernten, Schafe zu hüten, Alt/Baumaterial zu sammeln oder - auf der Seeseite – zu fischen.

Insgesamt muss man leider davon ausgehen, dass sich die Lage für die Palästinenser weiter verschärfen wird, gekoppelt an den sich nicht nur in Israel ausbreitenden Rechtsnihilismus.

Deutschland

Auf der Seite der Zivilgesellschaft hat sich 2010 durchaus einiges bewegt:

Auf der Habenseite stehen
- die gut gehende Nakba-Ausstellung des Vereins 'Flüchtlingskinder im Libanon e.V.'
- die Kampagne, die zur Trennung der 'Deutschen Bank' von der israelischen ELBIT führte
- die deutsche Teilnahme an der 'Free Gaza Flotte' und dem 'Jüdischen Boot'
- die vielgestaltigen BDS-Aktivitäten in Berlin
- die Unterstützung für den Hungerstreik Firas Maraghys vor der israelischen Botschaft
- die gelungene Palästinakonferenz in Stuttgart und deren Schlussdokument

Auf der Sollseite stehen u.a.
- das Unvermögen der Evangelischen Akadamie in Bad Boll, Bassem Naim, den Gesundheitsminister Gazas, einzuladen
- die nach wie vor erfolgreichen Zensur-Versuche gegen die oben erwähnte Nakba-Ausstellung
- das Einknicken der Böll-Stiftung unter dem Druck der Israel-Lobby, der zur Ausladung Norman Finkelsteins führte.

Das größte Manko der deutschen Palästina-Solidarität ist jedoch, dass die BDS-Bewegung hierzulande immer noch in den Windeln liegt. Es fehlt nach wie vor eine nationale BDS-Organisation, die es schafft das Bewusstsein zu schaffen, dass es verwerflich ist mit dem israelischen Apartheidstaat auf kultureller, wissenschaftlicher oder ökonomischer Ebene zusammenzuarbeiten.

Bewegung gab es 2010 auch auf offizieller Seite, wenn auch viel zu wenig.

Der Überfall auf die Gaza-Flotte hat sogar den deutschen Bundestag zu einem Appell an Israel veranlasst, die krimi­nelle Belagerung Gazas zu beenden. Von irgendwelchen Konsequenzen war jedoch nicht die Rede. Positiv ist auch, dass sich der gesamte Menschenrechtsausschuß des Bundestages solidarisch mit dem vor der israelischen Botschaft hungerstreikenden Firas Maraghy zeigte. Im Ergebnis musste die Familie Maraghy jedoch in Jerusalems feststellen, dass sie von der israelischen Botschaft betrogen worden war - trotz der Unterstützung durch den Vorsitzenden des Bundestagsausschusses für Außenpolitik, Ruprecht Polenz. Von irgendwelchen Konsequenzen für die deutsch-israelischen Beziehungen war bisher nichts zu hören.

Der Höhepunkt des offiziellen deutschen 'Widerstands' gegen die nicht enden wollenden Grenzüberschreitungen und Rechtsverletzungen Israels ist sicher die Erklärung von 26 'elder statesman' - darunter Helmut Schmidt und Richard von Weizsäcker - in der von der EU gefordert wird, ihre Appeasementpolitik gegenüber Israel einzustellen. Auch hier funktionierte die Selbstzensur der deutschen Medien wie geschmiert. Der Brief wurde weitestgehend ignoriert - und die EU-Führung - speziell die EU-Außenministerin Catherine Ashton - distanzierte sich von der Forderung mit Rücksicht auf die 'Freunde' in den USA und die besonderen Beziehungen zu Israel.

Ein radikaler Kurswechsel der deutschen Politik ist zur Zeit jedenfalls nicht absehbar. Die andauernde deutsche Besatzung Afghanistans, der sich ausbreitende Anti-Islamismus, die Ausbeutung des islamistischen Terrors für den Abbau der Grundrechte und die Militarisierung der deutschen Außenpolitik – all das weist in die falsche Richtung.

Für die deutsche Zivilgesellschaft besteht zwar Hoffnung, aber der Weg ist noch sehr lang.

 (ts)

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