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Uni Göttingen: Strafrechts-Ordinarius K. Ambos protestiert gegen Zensur der Nakba-Ausstellung [17.11.2016]
Nachdem dem die Präsidentin der Uni Göttingen, Frau Prof. Beisiegel, die Nakba-Ausstellung zum dritten mal verschoben hat - offenbar unter dem Druck der Israel-Lobby, nun auf das Sommersemester 2017 - hat einer der Unterstützer, der Ordinarius für Strafrecht, Prof. Dr. Dr. hc. Kai Ambos, folgenden Protestbrief an die Uni-Präsidentin geschrieben:
ich habe gestern abend von Frau Kollegin Schneider erfahren, dass Sie beabsichtigen, die Nakba-Ausstellung nun einer wissenschaftlichen Prüfung zu unterziehen, um sie dann ggf. im SoSe 2017 zu zeigen. Vor einigen Stunden hat mir Herr Bielke die entsprechende PM weitergeleitet.
Ich bin sehr enttäuscht von Ihrem Vorgehen und fühle mich in meiner Wissenschaftsfreiheit und wissenschaftlichen Reputation verletzt.
Wir – Frau Schneider und ich – haben Sie vor mehreren Monaten, über unser Vorhaben – Ausstellung und begleitende wiss. Vortragsreihe zur Situation in Palästina/Israel – informiert. Erst als wir beginnen wollten (am 1. November), haben Sie reagiert und auf Verschiebung gedrängt. Nach einer ersten Verschiebung auf 8.11. – die Vortragsreihe hat letzten Dienstag begonnen –, haben Sie auf erneute Verschiebung – auf der Grundlage eines Präsidiumsbeschlusses – der Ausstellungseröffnung auf 15.11. gedrängt. Wir haben in beiden Fällen alles vorbereitet – Einladungen und Plakate gedruckt, Werbung gemacht etc. – und zum 15.11. sollte Herr VP Diederichsen die Ausstellung eröffnen. Nun wollen Sie die Ausstellung erneut verschieben, um sie wissenschaftlich (neutral!) prüfen zu lassen.
Während dieses gesamten Vorgangs haben Sie mich einmal – am 28.10. – angerufen und um Zustimmung zur ersten Verlegung gebeten. Ich habe Sie per email nach der zweiten Verlegung auf 15.11. um eine Begründung und eine Übersendung des erwähnten Präsidiumsbeschlusses gebeten. Ich habe bis heute eine solche Begründung leider nicht erhalten, sondern kenne nur die Pressemitteilungen, zuletzt ein Entwurf einer neuen, die mir Herr Bielke vor wenigen Stunden übermittelt hat.
Sie haben Studierende, die uns Antisemitismus vorwerfen, zu einem Gespräch empfangen; uns haben Sie aber nie die Möglichkeit gegeben, unsere Position darzulegen. Sie haben mich zwar eingeladen, an Ihrer Israel-Reise der vergangenen Woche teilzunehmen, aber ich konnte daran wegen anderer Verpflichtungen nicht teilnehmen.
Als ordentlicher Professor der Universität Göttingen glaube ich von Ihnen – als Präsidentin meiner Universität – erwarten zu können, dass Sie die Wissenschaftsfreiheit der Wissenschaftler/-innen unserer Unversität gegen agitatorische Kampagnen jeder Art verteidigen. Wie Sie es selbst laut GT von heute sagen (S. 10): „Die Universität ist ein Ort des kritischen Diskurses und der - auch kontroversen - Diskussion." Wenn Sie das ernst meinen, müssten Sie diese Aussage auch auf die vorliegende Sache beziehen.
Ich meine, dass ich erwarten kann, dass Sie die Wissenschaftsfreiheit betreffende Entscheidungen begründen; die Begründungslast liegt insoweit bei Ihnen. Stattdessen kursiert nun der Entwurf einer PM, in der festgestellt wird, dass „keine neutrale wissenschaftliche Expertise zu der Ausstellung vorliegt.“ Abgesehen davon, dass dies die Frage aufwirft, was Sie im Rahmen einer solchen historisch-politischen Ausstellung als „neutrale wissenschaftliche Expertise“ verstehen, stellen Sie damit – schlimmer noch – diewissenschaftliche Integrität („Neutralität“) der für die Organisation der Ausstellung verantwortlichen Wissenschaftler, also die meinige und die von Frau Kollegin Schneider, in Frage. Dies geht noch über einen Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit hinaus, weil es direkt die betreffenden Wissenschaftler angreift. Ich habe deshalb, wie auch Frau Schneider, Herrn Bielke darum gebeten, den Text der PM zu ändern. Er teilte uns mit, dass er Ihnen unsere Änderungswünsche übermittelt habe.
Zu der Ausstellung selbst haben Sie inzwischen von vielen Seiten Informationen erhalten. Ich möchte insoweit nur – nochmals – auf den Beschluss des VG Freiburg v. 10.11.2010 verweisen (abrufbar: http://www.lib-hilfe.de/mat/ausstellung/chrono/Urteil_Verwaltungsgericht_Freiburg.pdf), mit dem der Stadt Freiburg aufgegeben wurde, die Ausstellung in der Stadtbibliothek zu zeigen. Der Beschluss ist deshalb für unseren Fall interessant, weil es um den nachträglichen Widerruf der Zulassung der Ausstellung (= begünstigender Verwaltungsakt) geht, der nur unter erschwerten Voraussetzungen möglich ist (vgl. § 48 VwVfG). Ihre Zusage, dass die Ausstellung jedenfalls am 15.11. eröffnet werden kann, ist ebenfalls als eine solche begünstigende Maßnahme zu sehen; Ihr Widerruf von gestern unterliegt damit sehr strengen Voraussetzungen. Ich möchte nur nebenbei bemerken, dass das gesamte Verfahren – Absage/Verschiebung der Ausstellung durch Telefonanrufe und Pressemitteilungen – nicht den Mindestvoraussetzungen eines rechtsstaatlichen Verwaltungsverfahrens entspricht. Ein angemessenes rechtliches Gehör habe ich - haben wir – zu keinem Zeitpunkt erhalten.
Ferner möchte ich Sie auf das wachsende zivilgesellschaftliche Engagement in dieser Sache aufmerksam machen, insbesondere die jüngste Entwicklung, die Ausstellung außerhalb der Universität zu zeigen (s. die unten angehängte email von Herrn Drost von heute). Nach dieser letzten Wendung unterstütze ich diese Bemühungen ausdrücklich, denn nur auf diese Weise wird jedenfalls der Meinungsfreiheit Genüge getan. Zum Zeitpunkt der Abfassung dieser email sieht es so aus, dass wir die Ausstellung in der Feurwache zeigen werden. Wir werden dabei nicht darum herum kommen zu erwähnen, dass Sie uns dies in den Räumen der Universität untersagt haben. Wenn es bei dieser Auseinandersetzung wirklich darum geht, Schaden von unserer Universität abzuwenden, sollten Sie auch berücksichtigen, dass Ihre Entscheidung und das gesamte Vorgehen in dieser Sache in Göttingen und darüberhinaus auf wachsendes Unverständnis stößt.
Ich selbst habe meinen Kollegen und unseren Senator Frank Schorkopf gebeten, die Angelegenheit im Senat zum Thema zu machen und damit eine jedefalls universitätsöffentliche Diskussion anzustoßen, denn hier geht es um einen Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit, der, wenn er Schule macht, auch viele andere Kollegen/-innen betreffen wird. Weitere Schritte behalte ich mir ausdrücklich vor.
Mit freundlichen Grüßen
Kai Ambos
(ts)
Ergänzende Links:
Stellungnahme gegen die Einschränkung der Meinungsfreiheit an der Georg-August-Universität Göttingen (Jüd. Stimme)