Institut für Palästinakunde - IPK - |
Start
/
Gesellschaft (Archiv 2011)
/
2011011500
Gaza: Leben und Sterben Shaban Karmouts in der Pufferzone [15.01.2011]
von Vera Macht aus Gaza
Es stirbt sich schnell an einem Ort wie diesem. An sonnigen Wintertagen, wenn noch der Geruch des Regens der Nacht in der Luft liegt, als hätte dieser etwas Hoffnung gebracht, für das vergewaltigte, karge Land Gazas, hunderte Male von israelischen Panzern und Bulldozern überrollt. Das Land zwischen den Ausläufen des Dorfes Bait Hanoun und der israelischen Grenze, streng bewacht von Wachtürmen, Soldaten, Heckenschützen, Drohnen und Helikoptern, ein Land in dem der Tod regelmäßig zu Gast ist.
Doch trotz allem hatte der 65-jährige Shaban Karmout wahrscheinlich so etwas wie Hoffnung, als er an diesem Wintermorgen erwachte. Sein Haus liegt in genau diesem 300 Meter breiten Landstrich, in der sogenannten Pufferzone. Er baute es vor 40 Jahren, 1971, da war Gaza schon von Israel besetzt, aber trotzdem dachte er dort eine Zukunft zu haben, für sich und seine Familie. Und Shaban baute dort Obst an, sein Land war voller Palmen und Bäume, Zitronen-, Orangen-, Clementinen- und Mandelbäume wuchsen dort. Er hatte ein gutes Leben.
Doch im Jahre 2003, gerade zur Zeit der Mandelernte, kamen die israelischen Bulldozer, in der Mitte der Nacht. Sie brauchten drei Stunden, um die Arbeit von 30 Jahren dem Erdboden gleich zumachen. Seit dem israelischen Militärangriff im Jahre 2009 konnte er gar nicht mehr dort leben, zu gefährlich war es, in der Pufferzone, wo sein zu Hause war, das nun von Israel zum militärischen Sperrgebiet erklärt wurde. Er lebte seitdem in einem gemieteten kleinen Betonhaus inmitten des Flüchtlingslagers von Bait Hanoun, in Jabalia, auf engstem Raum mit seiner großen Familie.
Aber er ging noch zu seinem Land, jeden Morgen, und arbeitete dort bis abends, von irgendetwas mussten er und seine Familie ja leben. Und so auch an diesem Morgen, am Morgen des 10. Januar 2011, als er voller Hoffnung erwachte, gegen 4 Uhr, und zu seinem Land aufbrach. Voller Hoffnung war er, da er und seine Nachbarn vor kurzem einen neuen Brunnen bekommen hatten, sein alter war bei einem israelischen Panzereinbruch zerstört worden. Die italienische NGO GVC hatte diesen Brunnen errichtet, er war von der italienischen Regierung finanziert worden. An diesem Tag besuchte ihn eine Angestellte der Organisation, um zu sehen, wie sich seine Situation verbessert hatte. Sie führte ein Interview mit ihm, und er bat sie ins Haus zu kommen, da es draußen nicht sicher wäre. Als sie aufbrach, riet er ihr lieber eine Abkürzung zu nehmen, man wisse ja nie. Er erzählte ihr noch, dass er selbst noch einmal in den Garten müsse, um seinen Esel anzubinden. Die NGO Arbeiterin hatte gerade wieder das Dorf Bait Hanoun erreicht, als drei Schüsse fielen. Einer traf Shaban in den Hals, zwei in den Oberkörper. Er war auf der Stelle tot.
„Es ist wie ein Alptraum“, sagte die Italienerin fassungslos. „Ich werde ihn nie wiedersehen. Von hier zur Leichenhalle in zwei Stunden.“
In dem Interview, dass er kurz vor seinem Tode gab, erzählte er von der unerträglichen Situation, in der er lebte. „Es fühlte sich an, als hätte jemand mein Herz herausgerissen“, so beschrieb er die Nacht in der er sein ganzes Land unter den Schaufeln von acht Bulldozern verlor. Und er sagte, dass er und die Bauern in den Feldern nebenan es trotzdem nochmal riskiert hätten, von irgendwas müsse man schließlich leben, und Weizen angebaut hätten. Als dieser reif zur Ernte war, wurde er von der israelischen Armee abgebrannt. Und er erzählte, wie er und die Bauern auf den Feldern nebenan trotzdem nochmal den Mut gehabt hätten, von irgendwas muss man ja schließlich auch die Kinder ernähren, und Weizen anbauen wollten. Als die Arbeiter auf das Feld gingen um zu säen, wurden sie von israelischen Soldaten beschossen.
Wovon er jetzt lebt, wurde er gefragt. “Ich sammle Steine und Holz, und ich baue etwas Gemüse in meinem Garten an”, antwortete er. Gemüse, wofür er seit neuestem auch Wasser hatte, dank der Spende der italienischen Regierung. Deshalb sah Shaban wohl etwas optimistischer in die Zukunft, denn ein anderes Einkommen als seinen Garten hatte er nicht mehr, seit es für ihn zu gefährlich wurde, seine Felder zu betreten. „Zu jedem Zeitpunkt können die israelischen Bulldozer wieder kommen, um auch mein Haus zu zerstören, man weiß nie, was sie als nächstes tun“, erzählte er. Ob er denn gar keine Angst hätte, hier zu sein, fragte ihn die Mitarbeiterin der NGO. „Nein, das Schießen macht mir nicht allzu viel aus“, hat er geantwortet. „Auch wenn mir etwas passiert, der Mensch kann nur einmal sterben. Und Gott allein weiß, wann ich sterben werde.“
Sein Neffe, Mohammed Karmout, steht etwas abseits vor der Leichenhalle. „Die Israelis kennen meinen Onkel sehr gut“, sagt er leise. „Er ist dort jeden Tag, und das ganze Gebiet ist überwacht, mit Kameras und Drohnen. Sie wissen doch, dass er dort lebt“.
Und so ist es wohl fraglich, ob nur Gott allein wusste, dass Shaban an diesem Tag sterben würde, während er seinen Esel anband, durch drei Schüsse in seinen Oberkörper.
Shaban Karmout ist der dritte Zivilist, der im letzten Monat in der Pufferzone erschossen wurde. An Weihnachten starb der Schäfer Salama Abu Hashish, 20 Jahre alt, durch einen Schuss in den Rücken, während er seine Schafe hütete. Seit Beginn letzten Jahres wurden rund 100 Arbeiter und Bauern von israelischen Heckenschützen in der Pufferzone angeschossen, 13 davon starben.
(ts)