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BDS: Britische BRICUP fordert den Bassbariton Thomas Quasthoff auf, seinen Auftritt in Israel im kommenden Februar abzusagen [11.01.2011]

Gustav Mahler (1860 - 1911) Das British Commitee for the Universities of Palestine (BRICUP) fordert den bekannten deutschen Bassbariton Thomas Quasthoff dazu auf, seinen Auftritt in Israel im kommenden Februar abzusagen. Besonderen Anstoss nehmen die Verfasser an dem Vorhaben Quasthoffs, zwei Jahre nach dem Gaza-Massaker - dem 400 Kinder zum Opfer fielen - Mahlers Kindertotenlieder zur Aufführung bringen zu wollen.

Nachfolgend die Übersetzung des Briefs von Frau Ulrike Vestring.


OFFENER BRIEF
vom
BRITISCHEN KOMITEE FÜR DIE UNIVERSITÄTEN PALÄSTINAS (BRICUP)
an den
DEUTSCHEN SÄNGER PROF. THOMAS QUASTHOF

London, 8 December 2010

Sehr geehrter Herr Professor Quasthoff,
wie wir erfahren haben, planen Sie im Februar 2011 fünf Konzerte in Israel, bei denen Sie Mahlers Kindertotenlieder singen werden. Wir finden es schwer verständlich, warum Sie eine solche Verpflichtung eingegangen sind.

Möglicherweise denken Sie jetzt, mit welchem Recht eine Gruppe britischer Universitäts-Prof.en eine von Ihnen eingegangene berufliche Verpflichtung in Frage stellt – aber wir bitten Sie, uns zu Ende anzuhören.

Vor uns liegt ein Bericht über die zweijährige Nasma Abu Lasheen, die im Oktober 2010 gestorben ist. Nasma hatte das Pech, als Palästinenserin in dem unter israelischer Blockade stehenden Gaza-Streifen geboren zu sein. In ihrem schrecklich kurzen Leben überstand sie den Terror der Operation „Gegossenes Blei,“ jenen dreiwöchigen Angriff gegen die eingesperrte Bevölkerung von Gaza, den Israel im Dezember 2008 und Januar 2009 entfesselte.

Aber nicht dieser Angriff kostete Nasma das Leben. Sie starb auch nicht daran, dass in dem zerstörten Gaza-Streifen neun Zehntel des Wassers verseucht und das Meer voller ungereinigter Abwässer ist. Die Israelis haben die Wasserversorgung und die Abwässerentsorgung zerbombt und lassen keine Materialien für ihre Wiederherstellung ins Land.

Nasma erkrankte an Leukämie. Die Krankenhäuser in Gaza dürfen keine Bestrahlungsgeräte und andere für die Behandlung von Krebspatienten notwendige Apparaturen importieren. Asmas Eltern beantragten dringend eine Genehmigung, um ihr Kind nach Israel in ein Krankenhaus zu bringen. Trotz des Einsatzes der israelischen Organisation „Ärzte für Menschenrechte“ kam die Erlaubnis erst nach acht Tagen – zu spät für Nasma.

Sie, sehr geehrter Herr Professor Quasthoff, werden in den andächtig stillen Konzertsälen von Haifa und Tel Aviv singen:

"Wenn dein Mütterlein tritt zur Tür herein, …
Fällt auf ihr Gesicht erst der Blick mir nicht,
Sondern auf die Stelle …
Dort, wo würde dein lieb Gesichtchen sein,
… mein Töchterlein."

Werden auch die Eltern von Nasma Abu Lasheen Ihnen dabei zuhören? Nein, das werden sie nicht. Palästinenser aus Gaza und dem Westjordanland dürfen nicht nach Israel einreisen. Also werden die trauernden Eltern sich nicht trösten lassen können, nicht einmal vorübergehend, von der Intensität der Musik Gustav Mahlers und der warmen Menschlichkeit und Schönheit Ihrer Stimme.

Wir haben gelesen, dass Sie es mehr als leid sind, wenn Menschen sich für Ihre von Thalidomid verursachte Behinderung interessieren. Völlig zu Recht. Sie führen ein normales Leben, sagen Sie.
Doch wussten Sie eigentlich, dass palästinensische Kinder oft mit Absicht der Gefahr lebenslanger Behinderung ausgesetzt werden? So berichtet die Organisation „Defence of Children International“ (Verteidigung von Kindern weltweit) am 28. November, dass in den acht Monaten zuvor sechzehn Kinder von israelischen Soldaten absichtlich in Beine oder Arme geschossen wurden. Was haben die Kinder getan? Sie haben in den zerbombten Gebäuden nahe der israelischen Grenze Schutt als Baumaterial gesammelt.

Auch israelische Kinder sind getötet oder verletzt worden, hauptsächlich durch Selbstmord-attentate palästinensischer Aktivisten. Wir bestreiten und billigen das nicht. Aber wir möchten Ihre Aufmerksamkeit auf die Israelin Nurit Peled-Elhanan lenken, deren dreizehnjährige Tochter Smadar 1997 bei einem Selbstmordattentat ums Leben kam. Frau Ped-Elhanan hat ihren Schmerz durch entschiedenen Einsatz gegen die israelische Besatzung überwunden. Für sie sind ihre Tochter und der Attentäter gleichermaßen Opfer dieser Besatzung.

Wir meinen, dass Sie durch Ihre Auftritte in Israel dazu beitragen, einen Schleier zu breiten über „Tod, Vernichtung, Zerstörung, Verwüstung und Missbrauch von Millionen von Zivilisten“, wie Frau Peled-Elhanan in ihrem Artikel vom 4. Dezember im israelischen Besatzungsarchiv so eindrücklich schreibt. Sie helfen der israelischen Regierung, etwas Rassistisches, Systematisches und sehr Hässliches zu verschleiern.
Und Sie sichern den Israelis zu, dass, egal welche Grausamkeiten und welches Unrecht ihre Regierung, ihre Armee und die Siedler den Palästinensern antun, sie selbst doch immer noch einen Platz in der „zivilisierten“ Welt haben. Wollen Sie das wirklich tun?

Sie lehren in Berlin an einer Musikhochschule, die den Namen Hanns Eislers trägt, des Komponisten, der in den 1930er Jahren nicht davor zurückschreckte, gegen den Faschismus zu kämpfen. Natürlich haben die Lieder von Eisler und Brecht den Holocaust der Nazis gegen Behinderte, Kommunisten, Juden, Zigeuner, Slawen, Polen in ganz Europa nicht verhindern können. Und vielleicht ergreifen uns heute die martialischen Rhythmen und die einfachen Hoffnungen des „Solidaritätslieds“ nicht mehr so stark (Text von Bertold Brecht, Melodie von Hanns Eisler). Aber Solidarität als solche zählt doch auch heute noch, oder?

Palästinensische Bürgerorganisationen fordern internationale Künstler auf, nicht mit israelischen Einrichtungen zusammen zu arbeiten. Es ist uns klar, dass wir etwas sehr Schwieriges von Ihnen verlangen, wenn wir Sie bitten, dieser Aufforderung zu folgen. Aber allein in diesem Jahr haben Künstler wie der englische Filmregisseur Mike Leigh und Musiker wie Elvis Costello, Gil Scott-Heron und Tindersticks Engagements in Israel aus politischen und humanitären Gründen abgesagt.

Falls Sie sich ihnen anschließen, wird es nicht länger so aussehen, als billigten Sie die Art und Weise, wie Israel das Leben, die Rechte und die Freiheit der Palästinenser erstickt.

Aber die Herrschenden saßen ohne mich sicherer. Das hoffte ich.
So verging meine Zeit, die auf Erden mir gegeben war."

So schrieb Berthold Brecht (aus: An die Nachgeborenen II).

Wir hegen die Hoffnung, dass Sie vielleicht ähnlich empfinden.
Bitte treten Sie nicht mit dem Philharmonischen Orchester Israels auf.

Mit vorzüglicher Hochachtung

gez. Prof. Haim Bresheeth, Mike Cushman, Prof. Hilary Rose, Prof. Steven Rose, Prof. Jonathan Rosenhead

 (ts)

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