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Gesellschaft (Archiv 2010)
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2010091102
Ein Deutscher in Palästina - "Palästinenser leben unter ständiger Angst vor Gewalt, Erniedrigung, Vertreibung durch die Besatzungsmacht
Israel. Und die Regierung des Staates, aus dem ich komme, unterstützt Israel …" (M. Bronstein) [11.09.2010]
Von Martin Bronstein, 07/09/2010
Seit ich im Westjordanland angekommen bin, musste ich immer wieder meine Rolle hier als Deutscher hinterfragen. Nicht dass ich das wollte. Doch seit frühester Jugend wird einem erzählt, man müsse Israel unterstützen, dürfe diesen Staat nicht hinterfragen. Insofern bleibt immer etwas im Hinterkopf, das einem sagt: "Du bist ja in Palästina und nicht in Israel! Was machst du hier?!"
Ich komme aus Deutschland, einem Land, das vor sieben Jahrzehnten über 6 Millionen Juden umgebracht hat. Und das – auch wenn das für Tote keinen Unterschied mehr macht – nicht in einem Gefecht oder Kämpfen, sondern gezielt, in Konzentrationslagern, deren einziges Ziel die Ausrottung eines gesamten Volkes war.
Palästina
Aus so einem Land komme ich also. Warum bin ich dann trotzdem in Palästina?
Die Palästinenser zählen wohl zu den am heftigsten verfolgten Völkern dieser Erde. Nach allem, was ich hier erlebt, gesehen und gehört habe, kann ich sagen, dass jeder Palästinenser unter ständiger Angst lebt, sein Zuhause zu verlieren respektive es nie wieder zu sehen, dann wird er zu einem palästinensischen Flüchtling. Palästinenser leben unter ständiger Angst vor Gewalt, Erniedrigung, Vertreibung durch die Besatzungsmacht Israel. Und die Regierung des Staates, aus dem ich komme, unterstützt Israel bei diesen Taten.
Die Shoah ist sicherlich das schlimmste Verbrechen, das in der Geschichte der Menschheit geschehen ist. Es ist nur zu selbstverständlich, dass sich die Weltgemeinschaft überlegt hat einen Staat zu gründen, in dem Juden endlich in Frieden leben können: ohne Verfolgung, Vertreibung und Angst vor Ermordung. Der Grund, warum ich in Palästina bin, ist also definitiv nicht eine Kritik an der Existenz Israels. Der Grund ist die Politik Israels. Wie kann ein Staat, dessen Gründer so etwas Schreckliches wie die Shoah miterlebt haben, die Palästinenser als Menschen zweiter Klasse behandeln? Sollten sie nicht aus ihrer eigenen Geschichte gelernt haben? Manchmal habe ich hier das Gefühl, Israel verhält sich wie ein Mensch, der als Kind geschlagen wurde und nun dasselbe anderen antut.
Aber was sagen andere dazu? Vielleicht, dass sie Israel aufgrund unserer Geschichte zu unterstützen haben. Wenn ich jedoch an dem Punkt angekommen bin, dass ich mich soweit informiert habe und weiß, dass Israel massiv Menschenrechte und Völkerrecht bricht, warum sollten Deutsche dann immer noch Israel unterstützen? Sollte die Lehre des zweiten Weltkrieges für Deutsche (und für alle anderen auch) nicht sein, dass wir NIE wieder zu Menschenrechtsbrüchen, zu Verbrechen an der Menschlichkeit, zu Morden schweigen?! Wer diese Verbrechen begeht, und wer darunter als Opfer leidet, darf dabei keine Rolle spielen.
Deshalb frage ich nun: Warum sollte man einen Staat, welcher Menschen vertreibt, ihres Landes beraubt, ermordet, demütigt, warum sollte man diesen Staat unterstützen? Egal, ob ich nun Deutscher, Amerikaner, Araber, Palästinenser, Israeli, Internationalist oder sonst wer bin.
Der Staat Israel begeht Verbrechen. Und nach dem zweiten Weltkrieg sollte jeder von uns das anprangern und sich aktiv dafür einsetzen dürfen diese Verbrechen zu stoppen. Das ist keine Frage des Glaubens, noch der Nation. Das sieht man auch an der jüdischen und israelischen Friedensbewegung, die die israelische Politik kritisieren. Der Staat Israel hätte großes Potential gehabt, hinsichtlich Menschenrechte eine Führungsrolle einzunehmen. Seine Vorfahren haben schließlich am meisten unter Verbrechen gelitten. Diese geschichtliche Chance hat dieser Staat aber nicht wahrgenommen. Daher liegt es an jedem von uns, ihn in die Schranken zu weisen.
Menschenrechte gelten für alle. Die Verantwortung sie einzuhalten gilt in gleicher Weise für alle Menschen.
(ts)
Ergänzende Links:
Tagebuch: Einreise und erste Tage eines Volunteers