Institut für Palästinakunde
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Chuzpe oder Dummheit? [09.06.2010]

mit Israel - ohne Unrechtsbewusstsein oder Reflektionsvermögen Kommenden Sonntag soll in Köln eine Demonstration stattfinden, deren Initiatoren sehr um Israel besorgt zu sein scheinen. Allerdings fürchten sie nicht etwa, daß die israelische Führung den Verstand verloren hat und mit ihrer Politik langfristig die Basis einer jüdischen Präsenz in Palästina zerstört.
Nein - auch nachdem Israel in einem Akt der Piraterie neun Schiffe eines humanitären Konvois entführt und bis dato neun Teilnehmer ermordet hat - glauben die Veranstalter Opfer einer anti-israelischen und antisemitischen Hetzkampagne zu sein. Irgendein Unrechtsbewusstsein scheint ihnen fremd zu sein. Und so beharren sie darauf, daß Israel mit seinem mörderischen Piraterieakt "Demokratie, Toleranz und Menschenrechte" verteidigt habe.

Chuzpe oder Dummheit?

Am 5. Juni hat Iris Hefets - Jüdin mit israelischem Pass - auf einer Demonstration in Berlin ein paar der Wahrheiten ausgesprochen, vor denen sich die Initiatoren in Köln hinter einer Panzerung aus Ignoranz und angmaßter Opferidentität zu verstecken suchen:

Was am Montagmorgen in einer Nacht und Nebel Aktion in internationalem Gewässer geschah, ist ein Massaker, das von der israelischen Armee an hilflosen Zivilisten verübt wurde.
Es unterscheidet sich qualitativ nicht von dem Massaker, das die israelischen Soldaten im Winter 2009-2010 in Gaza verübten. Auch damals schloss die israelische Regierung die Presse dabei aus und betrieb gleichzeitig massive Propaganda.
Die weltweite Aufmerksamkeit für die Ermordung internationaler Friedensaktivisten ist gut. Besser wäre es gewesen, wenn die internationale Gemeinschaft das damalige Massaker, dem weit über 1000 Palästinenser, darunter zahllose Kinder und Frauen, zum Opfer fielen, nicht hätte durchgehen lassen. …

Während die öffentliche Debatte sich darauf konzentriert, was für die Israelis an Bord der Marmara den Auslöser zum Schießen darstellte, wird das Hauptproblem leicht übersehen.
Der ursprüngliche Auslöser ist nicht im Free Gaza Konvoi zu suchen und nicht in der jetzt fast 4jährigen völkerrechtswidrigen Blockade der Menschen im Gaza-Streifen. Der eigentliche Grund besteht in der israelischen kolonialistischen Politik, derzufolge die Juden in Palästina mehr Rechte haben sollen als die dort heimischen Palästinenser.
Das Unrecht fing schon vor 1948 an. Es besteht nicht zuletzt in der Vertreibung der Palästinenser unter anderem in den Gaza-Streifen, wo heute mehr als eine Million Flüchtlinge leben. Es fing an dem Tag an, an dem die ersten Flüchtlinge aus Jafa, Isdud, Majdal und Beer-Saba kamen. Ich bin in Beer-Sheva geboren und wusste nichts von seiner palästinensischen Vergangenheit, obwohl das städtische Museum eine Moschee mit einem Minarett war. Der Großteil der Israelis sieht diese Minarette genau so wenig wie die Menschen, für deren Heimat sie stehen.

Das Verbrechen ging weiter nach der Eroberung des Gaza-Streifens durch Israel 1967: Auch damals schon, in einer Aktion, deren Details nicht veröffentlicht wurden, hat die israelische Armee in Gaza sogenannte Terroristen-Nester vernichtet. Danach kamen die israelisch-jüdischen Kolonialisten, die dort Blumen anbauten und die Palästinenser als billige und rechtlose Arbeitskräfte ausbeuteten. Sie praktizierten ein Judentum ohne Gott, ein Judentum ohne Gesetz und Moral.

Dass die Israelis über den Gaza-Streifen eine unmenschliche Blockade verhängten, hat seinen Grund darin, dass die Unterdrückung der Palästinenser durch die Kolonialmacht aufrechterhalten werden soll. Die demokratisch gewählte Hamas ist dafür lediglich eine Ausrede. Dov Weisglas, einer der Berater der israelischen Regierung, sagte in 2006: „Man muss die Palästinenser abnehmen lassen, nicht sterben lassen”. Das ist also das Ziel. Und das macht die deutsche Regierung mit.

Wir, Juden aus Deutschland, Israel und anderen Ländern werden das zusammen mit Menschen aller Religionen und Nationalitäten nicht schweigend hinnehmen. Wir werden es nicht zulassen, die Palästinenser in „Gazaner” und „Westbanker” zu zerlegen. Gaza ist ein Teil von Palästina, wo alle Bewohner die gleichen Rechte haben müssen. …

Wir warten aber nicht, bis die deutsche oder eine andere Regierung etwas unternimmt. Wir rufen die Zivilgesellschaft hier und in Europa auf, israelische Waren zu boykottieren. Wir sagen „Kaufen sie bei Juden, aber keine israelischen Waren”. Schreiben sie an akademische und kulturelle Institutionen in Deutschland, die mit israelischen Institutionen kooperieren, und protestieren Sie dagegen. Machen Sie bei der BDS-(Boykott, Deinvestition, Sanktionen) Kampagne der palästinensischen Zivilgesellschaft mit.

Nur wenn die israelische Elite den Preis für ihr Verhalten spürt, wird sich die Wirklichkeit im Nahen Osten ändern.

(Auszug aus der Rede von Iris Hefets am 5.6.10 in Berlin).

 (ts)

Ergänzende Links:
Vollständige Rede von Iris Hefets in Berlin am 5.6.10
Jetzt ist nur richtig zu sagen: „Wir sind alle Palästinenser”. von Husein Chawich
Den internationalen Druck auch aus der Bundesrepublik Deutschland heraus verstärken von Martin Forberg

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