Institut für Palästinakunde
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Unter Besatzung - "Bilal weint ..." (7) [24.01.2010]

Nachrichten von A. aus Palästina (© C. Latuff) Ich bin gerade auf der Arbeit. Heute Morgen habe ich einen Anruf von meinem Freund Bilal gekriegt. Er war ausser sich. Sagte, Soldaten seien im Haus und es gäbe Probleme.
Bilals Haus liegt auf der anderen Seite der Mauer, direkt hinter dem Checkpoint 300, welches Bethlehem von dem Gebiet, was Israel plötzlich "Jerusalem" nennt, trennt. Seine Familie lebt im Flüchtlingslager Aida, welches auf zwei Seiten von der Mauer abgegrenzt ist. Früher konnte er in einer Minute von dem Haus im Flüchtlingslager zum Haus seiner Großmutter gehen. Jetzt muss er durch den Checkpoint mit einem "Permit", das er alle drei Monate erneuern muss. Der Weg dauert jetzt 20-30 Minuten, wenn es keine Probleme am Checkpoint gibt.

Vor ein paar Jahren, als die Mauer noch nicht fertig gebaut war, erlitt Bilals Grossmutter einen Herzinfakt. Israelische Ambulanzen fühlten sich nicht verantwortlich, palästinensische wurden nicht durch den Checkpoint gelassen. Die Frau musste laufen und ist, als die Familie mit ihr das Flüchtlingslager erreicht hat, verstorben.

In Bilals Familie haben nur er, seine Eltern, eine Schwester und ein Bruder einen "Permit" um in das Haus auf der jetzt anderen Seite zu gehen. Da er allerdings weitere Geschwister hat, die unverheiratet sind, bleiben die Eltern im Flüchtlingslager. Jede Nacht geht Bilal durch den Checkpoint und schläft in dem Haus seiner Grossmutter, so wie sein Cousin im Haus seines Vaters nebenan wohnt. Drei palästinensische Häuser sind auf dieser Seite übrig geblieben, in Mitten der Olivenfelder, die unter anderem meiner früheren Arabischlehrerin gehören (die sie aber nicht mehr betreten darf). Bilal schläft in dem Haus, weil er befürchtet, dass die Soldaten es ihm enteignen, wenn er weg bleibt.

Einige Male wurde er von den Soldaten gezwungen, Anbauten und Erweiterungen, die kostspielig waren, zu zerstören, weil er keine "Erlaubnis" für diese Bauarbeiten an seinem eigenen Besitz auf seinem eigenen Land hatte - solche "Erlaubnis" erhalten PalästinenserInnen in Ost-Jersusalem so gut wie nie - und wenn israelische SiedlerInnen ohne "Erlaubnis" bauen, sogar an Häusern, die PalästinenserInnen gehören, werden diese nicht zerstört.

Jetzt hat er Schwierigkeiten. Bilal muss jedes Jahr ca 800,-€ Steuern an die Stadt Jerusalem, welche seit der Besatzung ausschliesslich unter israelischer Verwaltung ist, zahlen. Wasser erhält er jedoch aus dem Flüchtlingslager - wenn welches da ist.

Einen Stromzugang hat er jetzt auch. Die Stadt Jerusalem hat ihm gesagt, er müsse die Leitungen und Mäste selbst legen, für fast 6000,-€. Die "Palestinian Authority" hat 4000€ gezahlt, Bilals Familie hat 2000€ dazu getan, damit er manchmal Strom im Haus hat. Andere Dienste, wie eine Müllabfuhr, kann er nicht in Anspruch nehmen.
Vor kurzem hat Bilal daher gegen die Stadt Jerusalem geklagt. Soldaten haben sofort mit Problemen gedroht. Bilal hatte eigentlich damit gerechnet, dass sie sein Permit, welches am Samstag auslief, ein paar Wochen lang nicht erneuern werden, wodurch er für diese Zeit in seinem Haus festsitzen würde. Er war vorbereitet, aber dann wurde das Permit doch erneuert.

Heute rief er mich und an sagte, es gäbe Probleme. Ich rief zurück und Bilal weinte. Mein Freund Bilal, ein junger Mann von 26 Jahren, der seit seinem 12. Lebensjahr auf eigenen Beinen steht und mit mir durch viele harte Situationen gegangen ist. "Was ist los, Bilal? Was ist los, sag etwas?"
"Vorbei, A., es ist vorbei. Das Haus ist weg. Sie wollen es zerstören", sagt er.

Ich war kurz geschockt: jetzt? werden sie es jetzt zerstören? Soll ich Aktivisten mobilisieren? Ich selbst komme nicht schnell genug hin. Ich rief meine Freundin an, die gerade bei mir wohnt, kurz einen Freund in Italien, der Bilals Freund ist, und Mahmoud, der Bilal anrief, um genau zu erfahren, was los ist.

In der Zwischenzeit sind die Soldaten weg gegangen. Sie haben das Haus photographiert. Heute wird es nicht zerstört. Es ist mehr zu rechnen, aber Bilal hat mit seinem Anwalt geredet, Mahmoud mit einem anderen, und wir sind jetzt vorbereitet.

Ein weiterer dieser Schockmomente, die im Moment nicht aufhören wollen.

 (ts)

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