Institut für Palästinakunde
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Dt./isr. Kabinettsitzung in Berlin: Eindrücke vom Protest [20.01.2010]

Von Frank und Renate Dörfel erhielten wir den folgenden Bericht aus Berlin:

"Eindrücke von einem Protest" oder "Was können wir tun, um die Öffentlichkeit zu erreichen?"

Protestieren für Palästina ©Tatif Vorgestern, am Bundeskanzleramt, etwa dort wo bis zum Krieg die Kroll-Oper stand, spielte sich ein im Rückblick geradezu gespenstisches Schauspiel ab: Da standen wir, 100, 200 Menschen – wir wissen es nicht, wir kam nicht zum Zählen, weil wir ständig herumgingen und unsere selbstgebastelten Begrüßungstafeln für Merkels Gäste hoch- und in die Kameras hielten (s. Anhang).

Wir standen hinter einem Absperrgitter, auf der anderen Seite das riesige, schneebedeckte Freigelände vor dem Reichstag, der Platz der Republik, links Angelas Gralsburg, das Kanzleramt. Vor uns, also jenseits des Gitters, waren die Beobachter: die Polizei, das Gelände links und rechts der großen Schneewiese vor dem Reichstag war überzogen mit Hunderten von Polizeifahrzeugen. Auf dem Platz der Republik, der großen Wiese nur ein einsamer Schneemann. Zwischen den Polizisten und uns kaltfüßigen Protestierern tummelten sich Dutzende von Medienvertretern, die uns immer wieder eine Kamera oder ein Mikrophon hinhielten, als seien wir Zootiere, die gefüttert werden müssten mit der Hoffnung, auf diesem Wege die Öffentlichkeit erreichen zu können.

Frank hatte die Chance, einem Reporter von Al-Jazeera ein Interview zu geben, in dem er seine Motivation für die Teilnahme an diesem Protest darlegen konnte: unsere deutsche Verantwortung nach den Verbrechen der Nazis nicht an neuen Verbrechen gegen die Palästinenser mitzuwirken durch Schweigen und durch tätige Unterstützung der Israelis und unsere Solidarität mit Palästinensern und mit den Israelis der dortigen Friedensbewegung. Wurde es gesendet? Wir als TV-freie Menschen wissen es nicht.

Gute Reden verschiedener Vertreter von unterstützenden Organisationen und von Einzelpersonen, z.B. von mehreren Teilnehmern des Gaza-Freedom-March, die gerade aus Ägypten zurückgekehrt waren, eine Grußbotschaft von Reuven Moskovitz aus Jerusalem, drangen nicht einmal bis zum Rande unserer Versammlung. Und als dann die von Dutzenden blaulichtblinkenden Polizeifahrzeugen begleiteten schwarzen Limousinen kamen, eilten wir dicht ans Gitter, schwenkten unsere Schilder und Fahnen und riefen „Buh“ und „Freiheit für Gaza“ und „Freiheit für Palästina“, was wohl nur die Polizisten haben verstehen können, die waren freundlich, als könnten sie uns nicht nur akustisch verstehen.

Eindrucksvoll (für uns, sonstige Öffentlichkeit war ja auch durch die weiträumigen Absperrungen ausgeschlossen) war der Besuch von einer Gruppe von orthodoxen Rabbinern von der Gruppe Jews against Zionism (?), von denen einige aus London und aus New York extra zu diesem Protest angereist waren mit ihren Spruchbändern und ihren Fähnchen, die einen rot durchgekreuzten Davidsstern und die Aufschrift „Pro Judaism / Anti Zionism“ und die palästinensischen Farben zeigten. Einer dieser Rabbis hielt eine flammende Rede, die darin kulminierte, dass Israel jedes Recht im Namen der Juden zu sprechen, aberkannt wurde: die Thora verbiete so etwas wie die Gründung eines jüdischen Staates und seit über 100 Jahren würde durch die Bewegung des Zionismus das Judentum geschädigt.

Als wir nach der Veranstaltung Richtung Friedrichstraße gingen (der Weg zur anderen Seite des Kanzleramts, wo eine zweite Kundgebung stattfinden sollte, wurde uns „aus Sicherheitsgründen“ verwehrt), vorbei am Reichstag, fanden wir das ganze Viertel von Polizei überkrustet, als gälte es, einen Staatstreich abzuwehren oder einen solchen abzusichern. Welch Aufwand, welche Kosten, welche Umweltbelastung durch Hunderte von laufenden Motoren!!! Unweit von uns das Haus der Bundespressekonferenz, wo zwei Tage zuvor die großartige, informative, aufrüttelnde Pressekonferenz zur Vorstellung der deutschen Übersetzung des Goldstone-Berichtes durch Abi Melzer unter Mitwirkung von Stéphane Hessel, Paris, Jeff Halper, Israel, Rolf Verleger, Lübeck, Jürgen Jung, München, Max Wieselmann aus Holland, erfolgt war. Eine andere Welt?

Was hat die Veranstaltung gebracht? Wir haben uns erreicht, uns, die wir ohnehin überzeugt sind davon, dass die deutsche Politik des bedingungslosen Unterstützens von Israel unmoralisch und auch politisch falsch und unklug ist. Die eigentlichen Adressaten, die deutsche Regierung unter ihrer (nicht unserer!!!!) Kanzlerin scheint nicht erreichbar zu sein, und ob in den schwarzen Limousinen überhaupt israelische Politiker saßen, war nicht auszumachen.

Gut waren Gespräche in der S-Bahn auf der Heimfahrt, nachdem wir uns entschlossen hatten, die große Plastiktüte, in der wir die Poster trugen, zu „schonen“, und wir die beiden A2-Poster herausholten und offen trugen mit den Aufschriften

1,6 Mio Menschen in Gaza in Geiselhaft / Merkel empfängt die Geiselnehmer
Kriegsverbrecher nach Den Haag -- nicht ins Kanzleramt
Gaza hungert! / Deutschland hofiert die Gefängnis-Wärter
Kriegsverbrecher nach Moabit -- nicht ins Kanzleramt

Viele interessierte Blicke, manch zustimmendes Nicken, einige Gespräche: Hier war endlich Öffentlichkeit, und wieder, wie so oft in den letzten 3 Jahren – seit dem Libanonkrieg – überwiegende Zustimmung der Menschen zu unserer Kritik. Unsere Politik ist weit von den Menschen entfernt, nicht nur vom Leiden der Menschen in Nahost, auch von der Stimmung der Menschen hier in Berlin.

 (ts)

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