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Gesellschaft (Archiv 2010)
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2010011601
Unter Besatzung - Diesmal "nur" Terror ... (1) [16.01.2010]
Gestern erreichte uns der nachfolgende Bericht von A., einer Internationalistin in den besetzten Gebieten, die versucht allein durch ihre Anwesenheit die Akteure des gewaltlosen Widerstands des Dorfs M. vor den Übergriffen der Besatzer zu schützen.
Der folgende Bericht gibt dem Leser einen nachhaltigen Eindruck von dem damit verbundenen Stress und den Ängsten.
Hintergrund
Liebe Freunde,
nach ein paar Stunden schlaf möchte ich Euch eine Email weiterleiten, die ich an meine Kollegin hier geschrieben habe.
Der Hintergrund ist folgender:
B. ist mein engster palästinensischer Freund, und kommt aus dem Dorf, von dem ich öfter geschrieben habe. Seine Familie ist meine Ersatzfamilie hier geworden, ich verbringe die Feiertage bei Ihnen, rufe B. an, wenn die Flasche für meine Gasheizung leer ist, etc. .
B. ist auch einer der Aktivisten, die zum zivilen Widerstand gegen den Mauerbau in seinem Dorf und in der West Bank generell, gegen die illegalen Siedlungen, und die Besatzung mobiliseren. Er beruft sich dabei ausschliesslich auf das internationale Recht und konnte dadurch weltweit ein grosses Netzwerk der Solidarität kreieren.
Durch meine vorherigen Emails habt Ihr mitgekriegt, dass vor allem in den letzten Wochen die Repression gegen genau solche Menschen enorm zugenommen hat. B. wurde fünfmal in den letzten drei Wochen auf verschiedene Arten durch das israelische Militär gewarnt. Die Botschaft immer: es darf dieses Jahr keine weiteren sie Demos im Dorf geben - die Demos finden seit November 2006 jeden Freitag statt.
In den letzten Monaten habe ich Freitags immer wieder im Haus der Familie von B. übernachtet, um da zu sein, falls Soldaten sein Haus angreifen und entweder ihn, oder einen seiner Söhne (der älteste ist 12) mitnehmen. Da ich sowieso öfter im Dorf schlafe, schien das bisher wie ein normaler Besuch, wir haben ruhig geschlafen.
Angesichts der massiven Gewalt letzte Woche habe ich erstmals an zwei Nächten eine Gruppe von Internationalisten organisiert, die mit mir in einem Haus im Dorf geschlafen habe. Soldaten waren zwar in dieser und in anderen Nächten im Dorf in der Nähe von B.s Haus (illegal), haben ihre Fahrzeuge aber nicht verlassen.
Da wir im Gegensatz zu Bil'in z.B. nicht die Notwendigkeit sahen, Internationalisten zum Schutz für Übernachtungen ins Dorf einzuladen, gibt es hier keine erfahrene Gruppe und die wenigen Internationalisten, die meinen Aufrufen folgen, sind uneigenständig.
Für heute und morgen organisiere ich eine Gruppe, da das die Risiko-Tage sind. Dachten wir. Dann ist das unten stehende passiert. Ich fahre jetzt ins Dorf zur Demo.
Die Besatzung hier ist nicht nur eine Frage abstrakter Gerechtigkeit, sondern immer persönlich. Sie betrifft Menschen, die wir kennen und lieben und jedes Mal können wir entweder die Augen schliessen und abhärten, oder gehen den Schritt mit und werden von der Besatzungsmacht dann als "radikal" dargestellt.
(Andrea ist ein enger Freund in Italien, Daniel ist ein israelischer Aktivist. - Noch kurz: ich bin geschützt, das schlimmste, das mir passieren könnte, wäre eine Abschiebung, das wäre für mich persönlich furchtbar, aber auch dann gäbe es Optionen, also macht Euch um mich keinen Sorgen.)
Die Soldaten kommen!
Gestern Nacht habe ich den befürchteten Anruf gekriegt. Um 02:00h ist es B., die Verbindung ist schlecht, er sagt etwas von Soldaten und "hier" und legt auf. Ich rufe mehrfach zurück, er geht nicht ran. Überlege, ob ich seine Freunde anrufen soll, seine Familie? Wenn ich's falsch verstanden habe, schaffe ich nur Panik. Wenn nicht ...
Ich rufe weiter an, auch seine Freunde wissen von nichts, wollen mich zurück rufen. Meine Stimme ist angespannt, ich bin im Bett und es ist Scheisse. Soll ich losfahren? Was ist los?
Das alles innerhalb einiger Sekunden.
Ich rufe Andrea an. Der sagt, ruf die Israelis an, frag was Du machen sollst, hol Internationalisten dazu. Das dauert alles zu lange, aber OK. Ich rufe Daniel an. Er sagt, wenn die Soldaten ihn mitnehmen wollen wird es zu spät sein. Ich rufe einen Ausländer an und sage, dass ich gleich, wahrscheinlich gleich fahre, aber versuche nochmal herauszufinden, was los ist. Ich weiss nicht mal, ob die Hauptstrasse ins Dorf frei ist.
Der Ausländer sagt, ich soll ihm Bescheid sagen. Ich rufe einen Freund von B. an. Er sagt, jetzt seien die Soldaten bei ihm selbst vor der Tür. Dann erreiche ich B. über das Telefon seiner Familie! Sie sind wieder weg! Sie haben ihn rausgeholt, ID genommen, Haus durchsucht und sind weiter, in ein anderes Haus, aber sind schon wieder auf Rückweg. Das alles in 20 Minuten.
B. sagt, Soldaten bewegen sich raus aus dem Dorf. Er hatte sein Handy auf lautlos und hat die Anrufe seines Freundes, der ihn warnen wollte, nicht gehört. Ich hab erst gestern Nacht gemerkt, dass ich die Nr unseres Freundes gar nicht habe.
Ich schreibe SMS an den Ausländer, an Daniel, an Andrea und versuche zu schlafen. 40 Minuten später rufe ich nochmal B. an. Sind sie raus aus dem Dorf? Ja, für diese Nacht ja. B. hat per Email einen Aufruf für die Demo morgen geschickt.
Also wieder "nur" eine Drohung, "nur" Terror.
Danach kann ich erstmal nicht schlafen, und denke nach, was wir jetzt machen sollten: Ich brauche eine Kamera, wir sollten regelmässig dort schlafen, aber ich habe zu wenig Leute und die sind zu uneigenständig. Ich müsste vermutlich jede Nacht dabei sein. Das wird auf Dauer sehr anstrengend und unpraktikabel. Ich kann dort nicht duschen.
Ich will nicht nochmal so weit weg sein, wenn so ein Anruf kommt. Das war furchtbar. Aber B. und meine anderen Freunde sind noch frei und ich sehe sie gleich. (ts)