Institut für Palästinakunde
- IPK -

Start / Gesellschaft (Archiv 2009) / 2009072801

"Die Menschen mit ihrem Land verbinden" - Zu Besuch bei 'tent of nations' südlich Jerusalems [28.07.2009]

Von Brigitta Schmitt

Bericht von Brigitta Schmitt aus Bonn, die zwischen August und November 2008 am EAPPI-Begleitungsprogramm in Ostjerusalem teilnahm.

'tent of nations', südlich von Bethlehem ... "A land is worth nothing without people and people are worth nothing without a land" (Ein Land ohne Menschen ist nichts wert und ein Volk ohne Land ist nichts wert) - das ist Daoud's Devise und gleichzeitig seine Vision, die schon sein Grossvater hatte, als er 1916 dieses wunderschön gelegene Stück Land mit einem weiten Blick in die umliegenden Hügel südlich von Bethlehem erwarb und dort tagsüber mit seiner Familie Oliven, Weintrauben und Weizen anbaute und nachts in den Höhlen schlief.

Daoud's Onkel Nayef hat noch bis zu seinem Tod im Jahr 1987 in einer solchen Höhle gelebt. Heute ist in einer der Höhlen Daoud's Büro untergebracht und bald wird er dort auch über einen Internetzugang verfügen, wenn aus Deutschland die versprochene Hilfe einer Fotovoltaikanlage kommt, die den jetzigen Generator als Stromlieferanten ersetzen soll.

In der Hoehle In weiteren Höhlen, die er mit seinem Bruder ausgebaut hat, also unter der Erde, da eine Genehmigung für einen Aus- oder Anbau des bestehenden Wohnhauses fehlt, befinden sich Versammlungsräume, die z.Zt. noch darauf warten, dass künstlerisch veranlagte Menschen eine passende Deckenmalerei z.B. anbringen.

Daoud, ein intelligenter, aufgeschlossener junger Mann setzt mit seinem Bruder das Werk seines Vaters Bishara fort, der 1976 verstorben ist. Er will dadurch motiviert bleiben und mit seinem Projekt seinen Frust über die derzeitige Situation im Land „positiv“ lenken.

Aus der Ottomanischen Zeit hatte die Familie Nassar glücklicherweise alle Dokumente, die nachweisen, dass das Land in Familienbesitz ist. Viele Menschen haben damals nicht die Notwendigkeit gesehen, sich um solche Papiere zu bemühen.

Als 1991 die israelische Regierung das ganze Gebiet als Staatsgebiet erklären wollte, widersetzte sich die Familie und brachte den Fall vor Gericht. Seit 17 Jahren besteht nun dieser Rechtsstreit und die Verhältnisse sind ungelöst. Das Gericht vertagt die Termine immer wieder. Der Fall ist jetzt vom District Court an das Militärgericht weiter gegeben worden mit der Aufforderung, das Land neu im israelischen Grundbuch registrieren zu lassen. Der Antrag ist gestellt, auf die Antwort wartet man bis heute. Möglich ist, dass die Akte eines Tages geschlossen wird, ohne dass großes Aufsehen darüber erfolgt. Daoud jedenfalls ist zuversichtlich.

Auf meine Frage, wo er so gut Deutsch gelernt hat, erklärt er mir, dass er in Talitha Kumi, der deutschen Schule in Beit Jalla, als Christ sein Abitur gemacht und nach einer Zeit an einer Bibelschule in Bielefeld BWL studiert hat.

Sein Grundbesitz liegt - postalisch gesehen - bei Kilometer 17 an der Atan Street, in der Nähe der Hauptverbindungsstraße zwischen Jerusalem und Hebron. Einen Hinweis zu seinem Anwesen an dieser Straßenkreuzung findet man jedoch nicht. Den haben zum wiederholten Male Siedler der benachbarten Siedlung „Neve Daniel“ entfernt und lassen nur ihr eigenes Hinweisschild gelten.

Mit meiner Teamkollegin Maria aus Schweden beschliesse ich während meines Einsatzes als EA in Ostjerusalem eines Tages, Daoud Nassar noch einmal zu besuchen. Eine ehemalige EA aus der Schweiz, der ich bei der Mahnwache „women in black” zuvor begegnet war, hatte mir von ihm und seinem bewundernswerten Projekt erzählt und gemeinsam hatten wir ihn schon einmal an einem meiner freien Tage besucht.

Wir weigern uns Feinde zu sein Über einen hügeligen Fußweg von 30 Minuten gelangen wir zu seinem eingezäunten Grundstück. Kurz bevor wir das Eingangstor passieren, fällt unser Blick auf einen großen Stein, auf dem in 3 Sprachen steht: „Wir weigern uns Feinde zu sein”. Wir sehen uns an und werden nachdenklich. So weit kann jemand gehen, dass er - umringt von Feinden - sagen kann: Wir weigern uns, eure Feinde zu sein und wir wollen euch auch nicht als unsere Feinde betrachten?

Hier herrscht offensichtlich eine besondere Ideologie. Auf unsern fragenden Blick hin erzählt uns Daoud, dass kürzlich eine Frau aus der benachbarten Siedlung, die seit 9 Jahren dort wohnt, zu ihnen gekommen sei, mit ihnen Tee getrunken habe und ganz erstaunt darüber war, dass sie ohne Wasser und Strom leben, während sie in der Siedlung sogar über swimming-pools verfügen.

Sie muss allerdings eine große Ausnahme gewesen sein, denn 2001 und 2002 wollten die Siedler eine Strasse quer über das Land der Nassar Familie bauen. Daoud wehrte sich, indem er genau dort, wo die Siedler mit ihrem Straßenbau beginnen wollten, mit seinem Bruder Terrassen und Mäuerchen anlegte, Olivenbäume pflanzte und so diesem Vorhaben gewaltlos ein Ende setzte, untermauert durch einen gerichtlichen Beschluss.

Strassenblockade der Siedler ... Seit dieser Zeit haben Siedler allerdings mit riesigen Felsblöcken den Zufahrtsweg blockiert und Daoud muss seinen alten VW-Bus an diesen Steinen abstellen und weiter zu Fuß gehen, wenn er sein Grundstück erreichen will.

Sein Land liegt strategisch äusserst günstig und ist den Siedlern von Neve Daniel schon lange ein Dorn im Auge. Man hat ihm einen „offenen Scheck“ angeboten, damit er sein Land an sie verkauft. Er hätte sehr viel Geld nehmen und mit seiner Familie gut auswandern und sich irgendwo in der Welt - weitab von einem Krisengebiet - eine neue Existenz aufbauen können, aber er fühlt Verantwortung für dieses Land und hängt an ihm. Ein Volk ohne Land wird keine Zukunft haben und auch ein Land ohne sein Volk wird keinen Bestand haben – davon ist er fest überzeugt und das will er, mittlerweile Familienvater geworden, an die nachfolgen-den Generationen weitergeben.

Er möchte junge Menschen wieder zu einem positiven Gefühl verhelfen, sowohl was ihre Zukunft, als auch was ihr Land und dessen Kultur anbelangt. Dabei wendet er sich bewusst in allererster Linie an die palästinensische Jugend, aber auch an Jugendliche aus anderen Konfliktgebieten und gibt so Hilfen, Brücken der Verständigung zu bauen. Das Anpflanzen und Pflegen von Bäumen soll als Zeichen der Hoffnung und Solidarität für einen gerechten Frieden betrachtet werden. In der ersten Hälfte des vergangenen Jahres ist es ihnen gelungen über 600 Bäume zu pflanzen. Da diese zweimal pro Woche bewässert werden müssen, ist jede Hilfe willkommen. Das Gewächshaus, in dem Tomaten und Gurken gedeihen, trägt bei zur Selbstversorgung ebenso wie die Tierfarm mit Hühnern, Ziegen und Kaninchen. Jeder Fleck soll bebaut werden, denn auch Daoud will nicht zulassen, dass unbebautes Land vom israelischen Staat konfisziert werden kann.

Abgesehen von finanzieller oder materieller Unterstützung - ein Bagger wird z.Zt. unbedingt benötigt und eine Absatzmöglichkeit für den Mandelertrag wird gesucht - können sowohl einzelne Personen als auch Gruppen mit einem freiwilligen Einsatz, tageweise oder auch länger - je nach Saison - durch praktische, handwerkliche Arbeiten bei der Trauben-, Mandel- und Olivenernte das Projekt „tent of nations“ unterstützen. Dabei können sie - ganz naturverbunden – in Zelten wohnen, wenn auch die Siedler diese Wohnmöglichkeiten nicht gerne sehen. Auch Freizeiten und Zeltlager sind willkommene Aktivitäten auf seinem Gelände.

Alleine in den ersten 3 Monaten des vergangenen Jahres haben über 250 Personen aus den USA, über 220 Personen aus Deutschland, 80 palästinensische Schüler und Jugendliche, auch mehr als 60 israelische Friedensaktivisten sowie zahlreiche Interessierte aus anderen europäischen Ländern sein Projekt kennen gelernt.

Zur Zeit arbeiten 3 junge Männer aus Deutschland im Rahmen ihres Zivildienstes dort.

 


Brigitta Schmitt Brigitta Schmitt (62) war von Ende August bis Ende November 2008 als ökumenische Begleiterin über pax christi ausgesandt und mit 4 weiteren Internationalen in Ostjerusalem eingesetzt.
Zu den Aufgaben des Teams gehörten u.a. das regelmäßige Beobachten der Checkpoints Qalandia und Zeitun, das Kontakthalten zu einheimischen palästinensischen Flüchtlings- und Beduinenfamilien, die von Hausvertreibungen oder –zerstörungen bedroht waren, die Begleitung im Hospitalbus des Augusta Viktoria Krankenhauses nach Hebron und die Unterstützung von israelischen und/oder palästinensischen Friedensinitiativen.
In ihrer aktiven Zeit als Lehrerin an einer Berufsschule hat sie viele Jahre deutsch-israelische Jugendbegegnungen vorbereitet und geleitet.
Sie lebt jetzt in Bonn und betätigt sich seit ihrer Pensionierung ehrenamtlich auch auf verschiedenen anderen Gebieten.

 (ts)

Eine Übersicht über unsere aktuellen Gesellschafts-Nachrichten finden Sie hier.

Eine Übersicht weiterer Gesellschafts-Nachrichten in unserem Archiv finden Sie hier.

© IPK