Institut für Palästinakunde
- IPK -

Start / Politik (Archiv) / 2019041700

BDS-Beschluss: Offener Brief an Stadt Leizig [17.04.2019]

Zensur In dem folgenden Brief von siebzehn in Leipzig lebenden "jüdische[n] Migrantinnen und Migranten", fordern diese den Leipziger Stadtrat dazu auf, diesen BDS-Verbots-Antrag nicht zu einem Rats-Beschluss zu machen.

Da die bedingungslose Unterstütztung Israels bei der Vertreibung, Entrechtung und Beraubung der Palästinenser in Deutschland jedoch nicht als rassistisch sondern als Beweis von Rechtschaffenheit und höchster Moral gilt, ist wenig wahrscheinlich, dass der Rat die folgende Pointe des Briefs überhaupt wahrnehmen wird:

Dieser [Antrag] beinhaltet de facto ein Verbot jeglicher Kritik an der israelischen Regierung und stellt damit einen Angriff auf das Recht auf freie Meinungsäußerung dar. Das Versammlungs- und Demonstrationsrecht sollen ebenso beschnitten werden, sobald es um den Staat Israel geht. Wie absurd wäre es, wenn wir, Jüdinnen und Juden in Deutschland, nicht das Recht hätten, offen unsere Meinung zu äußern - 70 Jahre danach?


Ebensowenig wird dem Rat wohl auffallen, dass die Annahme, dass die Vertreibung, Entrechtung und Beraubung der Palästinenser "jüdisch" sei, per se antisemitisch ist. So wie ihm vermutlich auch nicht auffallen wird, dass der Zensurakt zweifellos altbekannten antisemitischen Stereotypen Auftrieb geben wird.

Offener Brief

Wir, jüdische Migrantinnen und Migranten in Leipzig, möchten hiermit unsere Besorgnis über den Antrag »Gegen jeden Antisemitismus« zum Ausdruck bringen, der am 17. und 18. April 2019 im Leipziger Stadtrat diskutiert werden soll.

Wir begrüßen selbstverständlich die Bemühungen der Stadt Leipzig, Antisemitismus zu bekämpfen, da wir als Jüdinnen und Juden in Deutschland selbst nicht selten antisemitische Diskriminierung erleben. Der Inhalt des vorliegenden Antrags »Gegen jeden Antisemitismus« verfehlt allerdings leider das Ziel, eine Grundlage für eine erfolgreiche Bekämpfung von Antisemitismus zu schaffen. Wenn die Stadt Leipzig ernsthaft Antisemitismus bekämpfen will, dann sollte dieser Antrag abgelehnt werden.

Es ist unmöglich, Antisemitismus isoliert, ohne andere Ausdrucksformen von Diskriminierung wie Antiziganismus oder antimuslimischen Rassismus, zu betrachten und zu bekämpfen. Der Antrag nennt aber als Ziel lediglich, »dass sich Jüdinnen und Juden überall in der Stadt unbesorgt als solche zu erkennen geben können«, jedoch ohne andere religiöse Minderheiten zu erwähnen, geschweige denn gleichzustellen. Die muslimische Minderheit wird im Text gar als Bedrohung dargestellt: »Das Konzept muss die den Antisemitismus verstärkenden Faktoren einer Einwanderungsgesellschaft sowie der humanitären Zuwanderung aus Regionen, in denen antisemitische Vorurteile und Feindbilder stärker verbreitet sind, berücksichtigen«, heißt es dort. Der Antrag spaltet also zwischen den Minderheiten: Die eine soll vor der anderen geschützt werden.

Wenn auf die Notwendigkeit der Bekämpfung von Antisemitismus in Anbetracht der Migration aus der arabischen Welt hingewiesen wird und damit Geflüchtete als Hauptverantwortliche dargestellt werden, so fühlen wir uns angesichts der europäischen und vor allem deutschen Geschichte nicht nur verhöhnt, sondern bekommen auch den Eindruck, dass es bei diesem Antrag gar nicht um den Kampf gegen Antisemitismus geht.

Es scheint vielmehr darum zu gehen, jede Form von Kritik an der israelischen Regierung als antisemitisch zu diffamieren und zum Schweigen zu bringen. Wir fordern das Recht, Kritik an unserer Regierung zu üben, auch in Deutschland, auch öffentlich. Kritik an der israelischen Regierung ist kein Judenhass.

Nicht jede jüdische Person ist israelisch und vice versa. In Israel leben Menschen unterschiedlichen Glaubens und unterschiedlicher Ethnien. Auch innerhalb der jüdischen Bevölkerung Israels gibt es Menschen verschiedener Herkunft. Sie kommen aus der ganzen Welt. Und selbstverständlich haben wir, wie in jedem anderen Land, unterschiedliche politische Meinungen. Unsere ständige Aufgabe ist es, einen Umgang mit unseren Unterschieden zu finden und eine Heimat zu gestalten, in der sich alle sicher, respektiert und gehört fühlen können. Israelinnen und Israelis, Jüdinnen und Juden als homogene Gruppe aufzufassen und so zu behandeln, als hätten wir alle die gleiche Herkunft und Meinung, verfehlt die Realität und ist sogar rassistisch.

Und obwohl wir, israelisch-jüdische Migrantinnen und Migranten in Leipzig, eine Gruppe von Menschen sind, die verschiedene politische Positionen haben, sind wir uns alle einig darin, dass wir das Recht haben, hier oder in Israel unsere Meinung zu äußern. Dies muss auch für die Unterstützer der »Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen«-Kampagne (BDS) gelten, die schlicht die Einhaltung des Völkerrechtes und gleiche Menschen- und Bürgerrechte für alle Menschen in Israel und Palästina fordert. BDS wurde im Antrag eindeutig als antisemitische Bewegung bezeichnet, obwohl es sich bei der Initiative um eine Kritik an der Politik Israels handelt. Im Antrag heißt es verfälschend: »Leipzig erteilt allen antisemitischen Boykottaufrufen eine klare Absage. Das gilt auch für die BDS-Kampagne (›Boycott, Divestment and Sanctions‹).«

Wir betonen nochmals: Kritik an der Politik Israels ist nicht mit Antisemitismus gleichzusetzen! Der Fakt, dass beides manchmal gemeinsam vorkommt, ist keine legitime Begründung dafür, politische Kritik an Israel zu verbieten. Mit einer gegenteiligen Auffassung bewegt man sich gefährlich nah am Rand dunkler Regime.

Wir fordern daher den Leipziger Stadtrat dazu auf, den Antrag »Gegen jeden Antisemitismus« abzulehnen. Dieser beinhaltet de facto ein Verbot jeglicher Kritik an der israelischen Regierung und stellt damit einen Angriff auf das Recht auf freie Meinungsäußerung dar. Das Versammlungs- und Demonstrationsrecht sollen ebenso beschnitten werden, sobald es um den Staat Israel geht. Wie absurd wäre es, wenn wir, Jüdinnen und Juden in Deutschland, nicht das Recht hätten, offen unsere Meinung zu äußern – 70 Jahre danach?

Abigail Akavia, Jafit Julis, Oved Persiko, Arbel Ifhar, Jen Stewart, Shelly Moses, Dina Bradichevsky, Michael Sappir, Shira Bitan, Eli Osheroff, Michal Greenberg, Yitzchak Ben-Mocha, Gal Levy, Miriam Szamet, Yoav Levy , Gilad Nir, Nora Gottlieb

 (ts)

Eine Übersicht über unsere aktuellen Politik-Nachrichten finden Sie hier.

Eine Übersicht weiterer Politik-Nachrichten in unserem Archiv finden Sie hier.

© IPK