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Freedom Theatre - Das Stück „Fragments of Palestine” ein Beispiel für politisches Theater [11.09.2011]

Bachelorarbeit: Das Stück 'Fragments of Palestine' ein Beispiel für politisches Theater Auszug aus der Bachelorarbeit von Janna Cremer am Institut für Theaterpädagogik FH Osnabrück

Im September 2009 feierte das Stück „Fragments of Palestine” auf seiner Tournee in Deutschland und Österreich große Erfolge. Viele Zeitungen, Fernsehdokumentionen und Radiobeiträge berichteten über das besondere Ereignis. Unterstützt von medico international und der „Kinderkulturkarawane” war es für viele der palästinensischen Jugendlichen das erste Mal, dass sie aus dem Land Palästina und aus dem Flüchtlingslager in Jenin, in dem sie wohnen, herauskommen konnten. Das Stück behandelt die verschiedenen Erfahrungen und spiegelt Eindrücke des Lebens aus einem Land, in dem Isolation und Unterdrückung zum Alltag der Menschen gehören. Eine Rezension erschienen in der Tageszeitung „taz” sieht das Stück folgendermaßen:

„In schnellen, hart gegeneinander geschnittenen Szenen wird der Alltag im Flüchtlingslager gezeigt. Neun Darsteller, sieben Männer und zwei Frauen, übersetzen diesen in starke Bilder, die teilweise von schwer erträglicher Deutlichkeit sind. Die Männer tragen weiße Anzüge, die wie die Mauer der Westbank mit schwarzen Graffiti besprüht sind.”

„Die Geschlechterrollen sind in "Fragments of Palestine" deutlich konturiert. Imponiergehabe, raumgreifende Tänze und Aufmärsche sind Männersache, den Frauen bleibt die Wehklage. Am Schluss bleiben ein Mann und eine Frau auf der Bühne, und während vom Band ein Gedicht des palästinensischen Dichters Mahmud Darwish erklingt, schauen sie sich fest in die Augen - ein Ende mit leise funkelndem Hoffnungsschimmer. So entwirft die 40-minütige temporeiche Performance ein ambivalentes Bild des Dscheniner Alltags und ermöglicht einen Einblick in eine Kultur, die gerade wieder entsteht, denn das Freedom Theatre ist die einzige Spielstätte im nördlichen Westjordanland.”

Anhand dieser Beschreibung, kann man erkennen, dass Juliano Mer Kahmis eine bestimmte Arbeitsweise gewählt hat, um Emotionen zu transportieren. Die Zuschauer sollen mitgenommen werden auf eine Reise in das Innenleben der Jugendlichen und auf eine Reise in die Welt des Flüchtlingslagers Jenin - und das nicht durch plakative Parolen und moralische Aufrufe, sondern hervorgerufen durch den exzentrischen Körpereinsatz der Spieler, durch düstere Lichtverhältnisse und klare Tempowechsel. So ist eine abstrakte Performance entstanden, die auf verbale Sprache „weitgehend verzichtet” und „Tanz und Körpertheater” als „die führenden Darstellungsmittel” nutzt. Die körperliche Aktivität stand im Mittelpunkt der Arbeitsweise: Ein mit Symbolen und bildlichen Metaphern durchsetztes, fein gearbeitetes Körpertheater.

Vermutlich wurde eng an den individuellen Biografien der Spieler entlang gearbeitet. Hier kann man auf Boal verweisen und sagen, dass die Konflikte der agierenden Spieler als zentraler Spielgegenstand genutzt wurden. So wurde nicht nur ein therapeutischer Effekt erzielt, sonder auch eine politische Aussage transportiert. Das Publikum hatte dann „Im Anschluss an die Aufführung … die Möglichkeit mit den Schauspielern über das Gezeigte zu diskutieren.”

Interessant erscheint mir die Ästhetik, die sich durch dieses Stück zieht. Sie kann als erdrückend, fast nicht aushaltbar und bedrohlich beschrieben werden. Dabei lösen hauptsächlich die Einsatzbereitschaft der Spieler, ihre 'Körperlichkeiten' die Effekte aus. Das heißt , Juliano hat eine Ästhetik geschaffen, die politische Aussagen mit persönlichen Empfindungen der Spielenden verbindet. Vergleiche ich dies jedoch mit der Aufführungspraxis der palästinensischen Theatergruppe in Wien, so zeigte sich hier eine Art verzweifelte Anstrengung, ihr Anliegen, ihr Thema, handelnd von Unterdrückung und Ungerechtigkeit, in einer Variante des Agitprop, auf die Bühne zu bringen, den Zuschauer nicht weggucken zu lassen, fast manipulativ zu konfrontieren, mit dem, wovon man überzeugt ist. Auf einem internationalen Festival in Westeuropa eine solche agitatorisch, einseitig – politisch erscheinende Aufführung zu präsentieren, erscheint nicht passend. Passender vielleicht ist es auf den Straßen, in der Öffentlichkeit die Misere in lautstarke Bilder umzusetzen und somit Gehör und Aufmerksamkeit zu erlangen. Bei dieser Aufführungspraxis steht der Inhalt als Aufruf im Mittelpunkt, dies soll transportiert werden, die Ästhetik und eine kunstvolle Umsetzung sind zweitrangig.

Im Rahmen der Aufführungen des „Freedom Theatre” dagegen gelingt es durch eine abstrakte, körperliche und bildliche Ästhetik, dem Publikum Möglichkeiten für eigene Interpretationen und Freiräume zu schaffen, den dargestellten Prozess mitdenkend zu begleiten und 'abstrakt' mitzumachen oder sich abzugrenzen. Man hört und sieht weg, wenn etwas Eindeutiges, eindeutig Brutales, aus der Realität auf die Bühne übernommen wird. Aber: Auch hier ist die Gefahr der Ablehnung durchaus einzukalkulieren.

Generell bleibt aber festzuhalten:

Die Auseinandersetzung des Publikums mit dem Thema des Dargestellten wird gefördert, wenn die Realität gebrochen wird, von dem Konkreten abstrahiert wird. Diese Methode des Abstrahierens zu lernen und als Gestaltungsmittel einzusetzen, ist ein Kernziel der theaterpädagogischen Arbeit in der konkreten Arbeit des „Freedom Theatre” wie auch im Allgemeinen.


Quelle:

"Theaterpädagogik als politisches Theater in Krisengebieten - dargestellt und untersucht anhand des palästinensischen „Freedom Theatre” in Jenin", Bachelorarbeit von Janna Cremer
Vorgelegt am Institut für Theaterpädagogik FH Osnabrück/ Standort Lingen (Ems)

 (ts)

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