Institut für Palästinakunde
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In memoriam Naji al-Ali (1938 - 1987) [30.08.2011]

Hanzala - Naji Al-Alis unsterblicher Sohn Am 29. August 1987 erlag der palästinensische Künstler und Karikaturist Naji Al-Ali im Londoner Charing Cross-Krankenhaus den Schussverletzungen, die ihm ein Attentäter am 22. Juli auf dem Weg zu seinem Büro in der Londoner Innenstadt zugefügt hatte.

Naji al-Ali, der 53 Jahre alt wurde, stammte aus Al-Shajara, einem in Galiläa im Norden Palästinas gelegenenen Dorf, dessen Bewohner 1948 vertrieben wurden. Nach der Vertreibung lebte er mit seiner Familie im palästinensischen Flüchtlingslager Ain El-Helweh bei Saida (Libanon).

Er galt stets als "Sohn des Flüchtlingslagers", dessen kritische Feder die Ironie und die Bitterkeit, ja auch den Zynismus der Lagerbewohner widerspiegelte

Bis zum Abzug der PLO aus Beirut im Sommer 1982 hatte der Karikaturist bei der linksliberalen libanesischen Tageszeitung Al-Safiir gearbeitet. Zuletzt arbeitete Naji Al-Ali für die kuwaitische Tageszeitung AI-Qabas.

Seine Zeichnungen galten als messerscharf und waren vielen Machthabern ein Dorn im Auge. Als "Anwalt des kleinen Mannes" war Naji AI-Ali in der gesamten arabischen Welt bekannt und beliebt. Er war Gründungsmitglied des Palästinensischen Künstlerverbandes und gehörte auch dein Palästinensischen Schriftstellerverband an. Zudem war er Vorsitzender des Arabischen Karikaturistenverbandes.


Ein zorniger Schrei gegen die Bitterkeit

Interview mit Naji al-Ali

Wie hast Du selber Deine Begabung entdeckt?

Sobald ich mitbekam, was los war, diese ganze Verheerung unserer Region, dachte ich mir, ich müßte etwas tun, irgendwie helfen. Zuerst versuchte ich es mit Politik, ging in eine Partei und marschierte auf Demonstrationen mit, aber das war alles nichts für mich. Ich mußte für den Schrei, diese Bitterkeit in mir, für das, was ich erlebte, andere Mittel des Ausdrucks finden.
Irgendwann in den fünfziger Jahren begann ich, die Wände in unserem Lager (Ain al-Helweh, d. Red.) zu bemalen. Damals fing eine politische Bewußtwerdung bei den Flüchtlingen über die Entwicklung in der Region an: Da war die Revolution in Ägypten, der Unabhängigkeitskrieg in Algerien, überall in der arabischen Welt brodelte es. Ich meinte, meine Aufgabe sei es, für diese Leute zu sprechen, für meine Leute, die irr den Lagern in Ägypten und Algerien saßen, für die einfachen Araber der gesamten Region, die ja nur sehr wenige Sprachrohre für ihren Standpunkt haben. Sie anzuspornen - darin sah ich meine Aufgabe. Ich denke, daß die politische Funktion eines Zeichners ist, neue Ideen zu vermitteln. In gewisser Weise ist er wie ein Missionar, denn es ist ein kleines bißchen schwieriger, eine Zeichnung zu zensieren als einen Artikel.

Wie kam es, daß sich das schließlich zu einem Beruf entwickelte?

In libanesischen Gefängnissen nahm ich das erste mal Zeichnen als politischen Ausdruck wahr. Ich war vom Deuxieme Bureau (dem libanesischen Geheimdienst) inhaftiert worden; das war im Zusammenhang mit den Aktionen des Bureau während der sechziger Jahre, die politischen Aktivitäten in den Palästinenserlagern in Schach zu halten. Ich zeichnete auf die Wände des Gefängnisses, und irgendwann sah Ghassan Kanafani, Journalist und Herausgeber der Zeitschrift `Hurriah' einige dieser Zeichnungen (1971 ist er in Beirut bei einem Attentat ums Leben gekommen). Er ermutigte mich weiterzumachen und druckte schließlich auch einige meiner Cartoons. Später floh ich nach Kuwait und konnte in den Nischen von Freiheit und Demokra­tie, die es in Kuwait gibt, weiterarbeiten(...)

Was war mit Deiner Arbeit in Beirut ?

Die Arbeit für `Al-Safir' 1971 in Beirut war die beste meines Lebens, die produktivste auch. Dort stand ich, umgeben von der Gewalt so vieler Armeen und schließlich der israelischen Invasion, mit meinem Zeichenstift in der Hand allem jeden Tag direkt gegenüber. Ich fühlte weder Angst noch war ein Gefühl von Niederlage oder Verzweiflung in mir - ich gab einfach nicht nach. Mit meinen Cartoons bot ich diesen Armeen die Stirn: Mit Zeichnungen voller Blumen, Hoffnung - und Kugeln. Hoffnung ist das Allerwichtigste, immer. Meine Arbeit in Beirut bracht mich den Flüchtlingen wieder näher, den Armen und Gequälten.

Hanzala der kleine Junge, der in jedem Deiner Cartoons auftaucht, mit den Händen auf dem Rücken, als ob er dastünde wie ein ewiger Zuschauer eines ewigen Spektakels - wann und wo wurde der geboren?

Dieses Kind ist, wie man sieht, weder schön noch nett angezogen oder wenigstens gut ernährt. Es ist barfuß, wie viele Kinder in den Flüchtlingslagern. Und es ist sogar ziemlich häßlich, wenn mau es genau nimmt, und keine Frau hätte wohl gerne so ein Kind.
Trotzdem: Ich merkte irgendwann, daß alle, die ihn kannten, ihn geliebt haben. Sie haben ihn geradezu adoptiert, denn er ist freundlich und ehrlich, ein aufrechtes Kerlchen - und ein Frechdachs. Er ist auch für mich ein Symbol, das dasteht und aufpaßt, daß ich selber nicht wegrutsche. Daß er seine Arme auf dem Rücken hält - das ist ein Zeichen seiner Zurückweisung all der negativen Strömungen in dieser Region. Ich muß außerdem gestehen, daß ich als Kind vom Theater fasziniert war. Ich liebte es sehr. Ich träumte davon, auf der Bühne zu stehen und mit den Leuten zu reden. Vor kurzem habe ich gemerkt, daß ich diese Liebe zum Theater immer noch habe und meine Cartoons sind wohl auch eine Art von Theater.
Das Plätzchen in der Zeitung ist die Bühne, auf der ich jeden Morgen auftrete. Ja, ich gehe hin zu meinem Publikum und rede mit ihm ohne daß es sich die Mühe machen muß, zu mir ins Theater zu kommen. (...)

Was ist mit den Palästinensern? Es gibt du wohl einige, die Deine Zeichnungen gern zensieren würden, weit Du ihr Verhalten oft kritisierst?

Ich zeichne Palästinenser, wie ich sie sehe. Da sind zunächst die palästinensischen Politiker - und ich glaube, daß es etwas sehr Grundsätzliches für jede politische Führung sein muß, Kritik zuzulassen. Dann zeichne ich reiche Palästinenser, die laut herumschreien über das Land und die Opfer und die in Wirklichkeit mehr am Handel und ihrem privaten Gewinn interessiert sind. Und ich kritisiere palästinensische Frauen, die vor einigen Jahren noch Bäuerinnen waren und jetzt in Kanada oder Brasilien die große Dame spielen.

Ist für Dich der ständige Verfall der Bürgerrechte im Nahen Osten nicht ein Grund zur Verzweiflung?

Als ich jünger war, da habe ich gedacht, ich werde einmal dabei helfen können, unsere Hoffnungen auf Unabhängigkeit, auf Einigkeit und Gerechtigkeit wahr zu machen. Für diese Hoffnung sind schon viele gestorben - und die Verhältnisse werden nur schlimmer. Das kann einen schon verzweifeln lassen. Ich empfinde es aber mehr als vorher als meine Pflicht, mit dein weiterzumachen, was ich tun muß und was ich tun kann.

(Palästinabulletin, 1987)

 (ts)

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