Institut für Palästinakunde - IPK - |
Start
/
Gesellschaft
/
Zensur (Archiv)
/
2018071701
Zensur-Versagen bei der Ruhrtriennale?! [17.07.2018]
Auslöser des folgenden Schreibens an die Kultur-Redaktion des WDR5 (in Kopie an die NRW-Kultur-Ministerin,
Frau Isabel Pfeiffer-Poensgen und die Intendantin der Ruhrtriennale, Frau Stefanie Carp) war ein
Beitrag in der WDR5-Sendung Scala, der sich mit dem vermeintlichen Zensur-Versagen der Intendantin
der Ruhrtriennale befasste. In der Sendung wurden nicht nur die Zensur der Band 'Young Fathers' unterstützt, weil diese sich
bereits früher zur BDS-Kampagne bekannt hatte, sondern auch die üblichen Falsch-Behauptungen über die
BDS-Kampagne verbreitet.
Sehr geehrte Damen und Herren,
in
der Scala-Sendung
vom 25. Juni war die BDS-Kampagne ein Thema Ihrer
Berichterstattung – genau genommen der "Skandal" um die
Intendantin der
Ruhrtriennale, Frau Stefanie
Carp.
Der Skandal dieses "Skandals" ist, dass er keiner ist. Denn Frau Carp wurde als Intendantin der Ruhrtriennale berufen und nicht als politische Zensorin Und es ist selbstverständlich nicht ihre Aufgabe Künstler für ihre politische Haltung zur BDS-Kampagne zu zensieren - zumal das Eintreten für diese Kampagne von den Buchstaben und dem Geist unserer Verfassung gedeckt wird.
Frau Carps ursprüngliche Ablehnung der Zensur-Anliegens wird auch international von Künstlern unterstützt, wie Sie in einer Guardian veröffentlichen Erklärung von 79 Künstlern nachlesen können: Ruhrtriennale festival wrong to expel Young Fathers over support for Palestinian rights.
Wirklich skandalös ist, dass Frau Carp von der Politik dazu gezwungen wurde die 'Young Fathers' zu zensieren und dass Sie und Ihr Kollege, Herr Klahn, das in dem Beitrag befürwortet haben. Sowie, dass sie diese Gelegenheit dazu genutzt haben, um vollkommen unsubstantiierte Behauptungen über die BDS-Kampagne zu verbreiten, wobei sich Ihr Kollege offensichtlich nicht die Mühe gemacht hat eigene Recherchen anzustellen.
Die BDS-Kampagne ist
eine internationale, von der palästinensischen Zivilgesellschaft
gestartete Rechts-Kampagne, die sich ausschließlich
auf das internationale Recht sowie auf die verbrieften Bürger- und
Menschenrechte stützt. Ihr Ziel besteht darin, Israel
- das seit über einem halben Jahrhundert, überwiegend mit nackter
Gewalt über 5.8 Millionen Palästinenser herrscht - dazu zu
bewegen, die Rechte der Palästinenser anzuerkennen - und dieser
Selbstverständlichkeit notfalls durch Sanktionen und Boykott
Nachdruck zu verleihen.
Das hat offensichtlich nichts mit
Antisemitismus zu tun.
Das scheint insbesondere Ihrem Kollegen, Herrn Klahn, nicht bekannt zu sein, der in dem Beitrag eine Fehl-Behauptung nach der anderen über die BDS-Kampagne aufgestellt hat.
Nicht korrekt ist Herr Klahns Behauptung, dass Israel nicht an dem von der BDS-Kampagne im Jahr 2017 boykottierten Pop-Kultur-Festival beteiligt gewesen sei, die israelische Botschaft vielmehr nur einen Fahrtkosten-Zuschuss gewährt habe. Korrekt ist, dass die israelische Botschaft auf den Web-Seiten der Pop-Kultur-Festivals als Sponsor angeführt wurde. Das war und ist aus Sicht der BDS-Kampagne entscheidend.
Nicht korrekt
ist Herr Klahns Behauptung, dass die BDS-Kampagne das "Existenzrecht
Israels" leugne. Korrekt ist, dass die BDS-Kampagne
Israel dazu auffordert, die Rechte der 5.8 Millionen Palästinenser
in seiner Gewalt zu respektieren. Diese Forderung berührt die
staatliche Existenz Israels in keinster Weise und sie ist ebensowenig
antisemitisch, wie die UN-Menschenrechtscharta.
Angefügt sei,
dass das Völkerrecht keinen "Existenzrecht"-Begriff kennt.
Das Völkerrecht befasst sich nur mit mit den Rechten und Pflichten
existierender Staaten. Und das Israel seine Pflichten gegenüber den
Palästinensern seit über einem halben Jahrhundert ignoriert ist
unstrittig. Falls der Begriff ausdrücken soll, dass all das,
was Israel den Palästinensern angetan hat Recht gewesen sei - so
kann niemand von den Palästinensern oder der BDS-Kampagne verlangen,
das zu akzeptieren.
Nicht
korrekt ist Herr Klahns Behauptung,
dass die BDS-Kampagne Israel als Apartheidsstaat
dämonisiere. Korrekt ist, dass Israel seine Bewohner nach ethnischen
und religiösen Kriterien klassifiziert und verschiedenen Gesetzen
und Rechtssystemen unterwirft. Ein doppelbödiges Staatsbürgerrecht,
das zwischen Staatsbürgerschaft und Nationalität unterscheidet,
ermöglicht es Israel sogar die eigenen, palästinensisch-stämmigen
Staatsbürger legal zu diskriminieren. Diese Art rechtlicher
Segregation ist ein harter Indikator für ein
Apartheids-System.
Weiteres über die Definition von Apartheid
und den Apartheidscharakter Israels können Sie in den beiden
folgenden Studien nachlesen: "Occupation,
Colonialism, Apartheid?" (Human Sciences Research Council,
Cape Town, 2009) sowie "Israeli
Practices towards the Palestinian People and the Question of
Apartheid" (Economic and Social Commission for Western Asia
(ESCWA), 2017).
Nicht korrekt ist Herr Klahns Behauptung, dass Israel eine Demokratie - die einzige im Nahen Osten – sei. Korrekt ist, dass Israel eine Demokratie für Juden ist. Für die nichtjüdischen Palästinenser in seiner Gewalt gilt, dass 75% von ihnen von der Wahl derer ausgeschlossen sind, die über ihr Schicksal bestimmen. Und selbst das Viertel, das an diesen Wahlen teilnehmen darf, kann die oben erwähnte legale Diskriminierung nicht abwählen, weil sich Israel als jüdischer Staat definiert, in dem Palästinenser bestenfalls mit einer Duldung als subalterne Minderheit rechnen können.
Nicht
korrekt und nicht
recherchiert ist
zuletzt Herr Klahns Behauptung, dass die Berliner Vertreter der
BDS-Kampagne am neunten November 2017 (dem Jahrestag des
Novemberpogroms)
zu einem Boykott
Israels aufgerufen hätten - was in der Tradition des "Deutsche
kauft nicht bei Juden"
stünde.
Schon mit ein wenig eigener
Recherche hätte Herr Klahn feststellen können, dass die
Aktivisten von BDS Berlin am 9. November 2017 an einem 'Global
Action Day' gegen Mauern teilnahmen
und dazu aufriefen, "auf dem Potsdamer Platz in Berlin gegen
Mauern zur Vertreibung, Ausgrenzung, Unterdrückung, Diskriminierung
und Ausbeutung zu protestieren."
Weiterhin glauben wir nicht, daß Sie nicht dazu in der Lage sind zu verstehen, dass es einen fundamentalen Unterschied macht - ob ein verbrecherischer Staat, wie das NS-Regime, einen Teil seiner ebenso unschuldigen wie wehrlosen jüdischen Bürger einem Boykott unterwirft, um deren Existenz zu vernichten - oder ob die Akteure der Zivilgesellschaft einer Demokratie zu dem Boykott eines Staats auffordern, um diesen davon abzuhalten einen Teil seiner nicht-jüdischen Bewohner zu diskriminieren, zu entrechten und deren Existenz zu zerstören, um sie zu vertreiben, so wie etwa aktuell in Khan Amar.
Falls Ihnen nicht klar sein sollte, von welchen Verbrechen hier die Rede ist: Die Verbrechen, die der israelische Staat unausgesetzt an den Palästinensern begeht sind geradezu vorbildlich dokumentiert und für jedermann zugänglich. Zum einen durch die Berichte des "Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (OCHA)" der Vereinten Nationen, zum anderen durch die des "Palestinian Centre for Human Rights (PCHR)" in Gaza, die Sie jederzeit problemlos in der Form eines Newsletters erhalten können.
Fazit
Wir würden es sehr
begrüßen, wenn Scala sich für die Freiheit der Kunst vor
politischer Zensur einsetzen würde - nicht nur für
Festival-Intendantinnen. Und wenn Sie sich für die Rechte und die
Freiheit sowohl der Palästinenser als auch der Juden einsetzen
würden. Insbesondere der Juden, die es ablehnen das Leid, das ihnen,
ihren Eltern oder Großeltern von Deutschen zugefügt wurde, mit dem
Leid der Palästinenser zu begleichen oder zu verrechnen – und
Deutschlands Offizielle für das Schweigen zu den damit
einhergehenden Verbrechen an den Palästinensern vom Antisemitismus
freizusprechen.
Mit freundlichen Grüßen
Stv.
Vorstand
Institut für Palästinakunde e.V., Bonn
(ts)