Institut für Palästinakunde
- IPK -

Start / Gesellschaft (Archiv) / 2016120700

Jordantal: ... nur hilflose Scham ... [07.12.2016]

Ibrahim Zeid (6), Fasayil Fasayil (Jordantal), 9. August 2016

Ein Psychologe der spanischen Sektion der Ärzte ohne Grenzen kam zu dem Trümmerfeld, das einst das Heim der Abu-Zeid-Familie war, um dem sechsjährigen Ibrahim zu helfen, der sich einer sehr schlechten seelischen Verfassung befand.

Aber Ibrahim war nicht da. Er hatte die Nacht in einem Krankenhaus in Jericho, mit seiner Mutter Hajar und seinem Onkel Adnan verbracht, nachdem er einen Hitzeschlag erlitten hatte. Wie hätte es auch anders sein können. Den ganzen Tag war er in der brennenden Sonne des Jordantals umher gelaufen, bei 45 Grad im Schatten, bis er anfing sich zu erbrechen und zu krampfen.

An Ibrahims Geschichte war nichts neues. Der Psychologe hatte ihn Jahr zuvor gesehen. Im August 2015 zerstörten riesige Armee-Bulldozer die elenden Unterkünfte von Ibrahims Eltern und deren Nachbarn, als "etwas in Ibrahims Kopf passierte" (wie es der Psychologe formulierte). In Israel würde man von einem posttraumatisches Stress-Syndrom sprechen.

Erst im Februar hatte die Armee Ibrahims Heim erneut abgerissen, und als ob das nicht genug war, war sein Vater einen Monat später bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen und sein älterer Bruder schwer verletzt worden - lag nun obdachlos und kaum bei Bewusstsein - in einem Bett im Freien.

Ibrahim hörte auf zu funktionieren. Er wurde völlig ruhelos, sein Verhalten wurde krampfhaft und unkontrolliert. Als ob ihn ständig jemand verfolgen würde. Und vielleicht wird er wirklich verfolgt - von dem verfolgten jüdischen Volk, das zum Verfolger wurde? Durch eine grausame Armee, welche die Existenz eines 6-jährigen Jungen und die seiner Familie nicht tolerieren kann. Eine Familie, die 1948 aus Ein Gedi und im Jahre 1998 aus Al Oja vertrieben wurde und nun mit Zähnen und Klauen an dem trockenen, steinigen Boden Fasayils festhielt, da sie nirgendwo anders mehr hin fliehen konnte.

Spielecke Seine Mutter folgte ihm ständig in der Angst, dass ihm etwas zustossen könnte. Aber wer soll ihn festhalten? Sein gequälter Geist erlaubt ihm keine Ruhe. Nur am vergangenen Samstag beruhigte sich Ibrahim ein wenig. Dutzende von Israelis kamen, auf Initiative der 'Combatants for Peace' zu dem Weiler und errichteten gemeinsam eine Spielecke für Ibrahim und die anderen Kinder, ein Ort des Lächelns und der Freude. Ibrahim formte mit seinen kleinen Händen Sitze aus Schlamm, schmückte sie mit Farben und träumte ...

... Am nächsten Tag kehrten die Bulldozer zurück, weckten ihn im Morgengrauen und zerstörten erneut sein Haus. Wir kamen nach Fasayil, um zu unterstützen, um etwas zu helfen und Solidarität zu zeigen, aber in einer Atmosphäre des Bösen und der Grausamkeit war alles was wir anbieten konnten hilflose Scham.

Am 8. August 2016 bestand Israel auf seinem Versuch, die Palästinenser aus dem Jordantal zu vertreiben. Wir haben festgestellt, dass der August - der heißeste Monat des Jahres, mit Temperaturen von durchschnittlich weit über 40 Grad - Israels bevorzugter Abbruchmonat ist, da es in ihm die größte Anzahl von Häusern zerstört.

Kinder und ältere Menschen werden hinaus geworfen - in die sengenden Sonne, während die israelischen Abrissmannschaften danach in ihre klimatisierten Unterkünfte fliehen. Denn es ist nicht nur Planung und Überwachung, die ihr Handeln leiten, sondern ihr Wille, dem schwächsten Teil der Bevölkerung so effektiv wie möglich zu schaden - um sie loszuwerden.

Daphne Banai

(Daphne Banai ist Mitglied von machsom watch.)

 (ts)

Ergänzende Links:
Ich versuche, Wut zu erzeugen – Empört Euch! (nhrz)
Mit dem AIC in Fasayil: 'Zionismus ist eine Form staatlich organisierter Kriminalität' (ipk)

Eine Übersicht über unsere aktuellen Gesellschafts-Nachrichten finden Sie hier.

Eine Übersicht weiterer Gesellschafts-Nachrichten in unserem Archiv finden Sie hier.

© IPK