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Buchrezension: "Der Würfelspieler" von Mahmoud Darwish [07.07.2010]
Frau Kristin Kretschmann danken wir für die folgende Rezension:
Mahmoud Darwish: Der Würfelspieler
Der Würfelspieler ist das letzte Gedicht des palästinensischen
Dichters Mahmoud Darwish, das er erst kurz vor seinem Tod
im Jahr 2008 verfasste und veröffentlichte. Es ist die
Vollendung seines dichterischen Werks und zugleich Rückblick
und Infragestellen seines eigenen Lebens.
Darwish war einer der bedeutendsten arabischen Lyriker der
Moderne. Berühmt wurde er durch seine frühe Dichtung, die
noch stark von politischen Ereignissen und Ideologien geprägt
war und nicht zu Unrecht als „Widerstandsdichtung“
bezeichnet wird. Im Gegensatz dazu hatte er sich in den letzten
Jahren seines Lebens hauptsächlich mit persönlichen
Fragestellungen befasst. Neben einer Sammlung aus
Liebesgedichten veröffentlichte er mehrere Bände, in denen er
die Erinnerungen seiner Vergangenheit zu verarbeiten suchte
und sich mit dem eigenen nahenden Tod auseinandersetzte.
Das Gedicht Der Würfelspieler wirkt wie eine Art Fazit des
persönlichen und dichterischen Lebens Darwishs, nahezu
chronologisch zusammengefügt wie aus verschiedensten
Abschnitten und Auszügen eines lebenslang geführten
Tagebuchs. Nicht nur inhaltlich sondern auch stilistisch
wechseln sich Hoffnung und Verzweiflung, Krieg und Liebe,
Frage und Antwort, Schreie und Stille, nüchterne, fast
analytische, Beschreibung und feinste, gefühlvolle Poesie
miteinander ab.
Bereits in den ersten Zeilen formuliert Darwish die zentrale
Frage nach der eigenen Daseinsberechtigung, die sich wie ein
roter Faden durch das gesamte Gedicht zieht:
Wer bin ich denn euch zu sagen
Was ich euch sage?
Auf der Suche nach der Antwort lässt der Dichter die Ereignisse
seines Lebens Revue passieren und kommt dabei immer
wieder zu der Erkenntnis, ein Produkt des Zufalls zu sein, nicht
mehr „als ein Würfelspieler“, der manchmal Glück und
manchmal Pech hat. Mehrmals greift er die Flucht mit seiner
Familie in den Libanon auf. Die innere durch den Verlust seiner
Heimat entstandene Fremde spielt auch in diesem Gedicht eine
Rolle. Darwish empfindet sich als ewig Reisender, der niemals
in seine Heimat zurückkehren kann, und der allein durch seine
Hoffnung überleben kann.
Den Beruf des Dichters sieht er ebenfalls als Ergebnis äußerer
Umstände, die auch leicht hätten anders geschehen können. Er
nimmt Bezug auf den Krieg und die politische Situation, die ihn
erst zu dem gemacht haben, der er ist, ohne dass er es
besonders gewollt hätte. Für ihn sind die Botschaften der
Dichtung von Bedeutung, der Dichter hingegen ist nur Mittel
zum Zweck, diese Botschaften zu übermitteln.
Nachdem er im Laufe seines Lebens unzählige riskante
Situationen überlebt hat, nähert sich Darwish am Ende des
Gedichts einerseits sehr sensibel, andererseits fast spöttisch
dem Thema Tod. Er glaubt, ihn überlisten zu können, wenn er
rechtzeitig den Arzt ruft. Hofft, so dem Nichts zu entkommen,
das ihn nach dem Leben erwartet. Er hängt sehr an seinem
Leben und bittet darum, nicht plötzlich aus dem Hier und Jetzt
gerissen zu werden, sondern noch Abschied nehmen zu
können, seine Erinnerungen bewahren zu dürfen.
Die Antwort auf die Frage nach der eigenen Identität, die ihn
sein ganzes Leben lang begleitet hat, kann Darwisch bis zum
Schluss nicht finden. So endet auch sein letztes, großartiges und
tiefgreifendes Gedicht Der Würfelspieler mit den Zeilen:
Wer bin ich denn das Nichts zu enttäuschen?
Wer bin ich? Wer?
(ts)
Ergänzende Links:
Buchvorstellung von "Der Würfelspieler"
Walter L. Mik und Sarjoun Karam rezitieren
"Die Unvergänglichkeit des Feigenkaktus". Die komplette CD ist beim IPK erhältlich
„Der palästinensische Dichter Mahmud Darwisch (1941-2008)” - Bachelorarbeit von K. Kretschmann.