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Meinung (Archiv)
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Die entsetzliche Petra Pau [04.12.2014]
In dem folgenden offenen Brief an die Bundestagsabgeordneten Petra Pau, wundert sich der Palästina-Aktivist Ekkehart Drost über deren Unwissenheit. Pau's Positionierung in Sachen Palästina ist jedoch keine Folge von Ignoranz, sondern von Rassismus, Opportunismus und Korruption.
Sehr geehrte Frau Pau,
Mit Enttäuschung, eher: mit Entsetzen musste ich Ihren Brief an die Leitung der Volksbühne, der zur Absage der Veranstaltung mit den beiden jüdischen Referenten geführt hat, zur Kenntnis nehmen. Schon die Tatsache, dass Sie gemeinsam mit zwei Kollegen diesen Brief geschrieben haben, die wegen ihrer nahezu vorbehaltlosen, unkritischen Unterstützung der israelischen Politik in der Vergangenheit in Erscheinung getreten sind, ist schwer verständlich.
Herr Robbe hat kürzlich in einer Jüdischen Gemeinde in Niedersachen einen Vortrag über Israels Politik gehalten, in der er diese mit den bekannten Metaphern („einzige Demokratie“ im Nahen Osten etc.) bekleidete. Diese Apologeten der israelischen Politik erscheinen vielen Menschen eher als Sprachrohr der israelischen Außenpolitik. Dies gilt leider auch für die Stellungnahmen des Zentralrats der Juden in Deutschland, während andere Organisationen deutscher Juden, z.B. die Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost oder die Jüdisch-Palästinensische Dialoggruppe in München, weder in der öffentlichen Debatte noch bei den Repräsentanten der politischen Klasse wahrgenommen wird.
Vermutlich geht an Ihnen und Ihren Mitunterzeichnern die politische Realität in Israel vorbei; das jüngste Beispiel des geplanten Nationalitätsgesetzes mit seinen Auswirkungen auf die Minderheiten in Israel, der Umgang mit Asylsuchenden, die Marginalisierung der nationalen und internationalen Menschenrechtsorganisationen sind lediglich aktuelle Beispiele, die die ständige Postulierung von den „gemeinsamen Werten“, die wir angeblich mit Israel teilen, zumindest als fragwürdig erscheinen lassen. Hat sich die Partei Die Linke nicht in besonderem Maße der Verteidigung der universellen Menschenrechte verpflichtet? Der fraktionsinterne Umgang mit Annette Groth, Inge Höger und Heike Haensel („Nicht in unserem Namen“) macht mich fassungslos und wütend. Alle Drei sind ausgewiesene Kenner der Situation vor Ort, haben wegen ihrer Beteiligung am „Schiff nach Gaza“ von den israelischen Behörden ein zehnjähriges Einreiseverbot in ihrem Reisepass und engagieren sich mit einer Zivilcourage für die Menschen in Palästina, die man bei Politikern kaum noch antreffen kann.
Ihre Fraktionskolleginnen kämpfen zusammen mit vielen deutschen und israelischen Juden dagegen, dass sich Israel „abschafft“, wie der Buchtitel des wichtigen Buches des orthodoxen israelischen Juden Gershom Goremberg lautet. Sind das alles Antisemiten? Ist der ehemalige Sprecher der Knesset, Avraham Burg, ein Antisemit, wenn er in seinem Buch „Hitler besiegen. Warum Israel sich vom Holocaust lösen muss“ eine von Grund auf erneuerte israelische Politik einfordert, die nur in Frieden mit dem von Israel besetzten und unterdrückten palästinensischen Volk gelingen kann? Zusammen mit den Palästinensern, den „letzten Opfern des Holocaust“, wie es die Holocaust-Überlebende und amerikanische Jüdin Lillian Rosengarten, die ebenfalls auf dem Schiff nach Gaza war, formulierte.
Sehr geehrte Frau Pau, schauen Sie sich die kurzen Videos von der jüngsten Hauszerstörung in South Hebron Hills an https://www.youtube.com/watch?v=JN0fdczjny8. Sie brauchen dazu starke Nerven! Auch kann ich Ihnen den Ausschnitt aus der Arte-Dokumentation über die völkerrechtswidrige Ausbeutung der palästinensischen Bodenschätze empfehlen: https://www.youtube.com/watch?v=JnSXhEz8fPw
Ich bin selbst mehrfach in den besetzten Gebieten gewesen, seit Herbst 2011 zweimal für jeweils drei Monate im Rahmen eines Programms des Weltkirchenrates. Alles, was in den Videos gezeigt wird, habe ich selbst – mehrfach! – erlebt.
Vor sechs Wochen bin ich von meiner fünften Palästina-Reise zurückgekommen. Seit Januar 2012 habe ich mittlerweile 70 Vorträge über „Palästinensisches Leben unter israelischer Besetzung“ in ganz Deutschland vor sehr unterschiedlichem Publikum gehalten, dabei viel Zustimmung bekommen und bin zumeist nach meinen Vorträgen weiter vermittelt worden. Fast niemals wurde gegen mich der Vorwurf einer antisemitischen Darstellung erhoben. Stets hat mein Publikum den Kommentar von Rupert Neudeck. den er nach einem Vortrag in Bad Honnef formuliert hat und den ich immer an den Anfang stelle, akzeptiert:
„Dass mein Vortrag einseitig gewesen sei, ist richtig. Ich stelle mich ganz auf die Seite des Rechts und des Lebens. Ich forderte die Erhaltung des Staates Israel, der dabei ist, sich selbst zu zerstören. Wenn der Staat Israel mehrheitlich ein jüdischer Staat bleiben will, ist es allerhöchste Zeit, den zweiten Staat Palästina besser heute als morgen entstehen zu lassen. Israel meint, es habe noch Jahrzehnte Zeit, sich zu entscheiden, ob es ihn noch will. Das ist grausam falsch. Wir Deutsche sind zur Einseitigkeit für die Menschenrechte, für das Leben aller Völker nach dem von uns zu verantwortenden Holocaust mehr verpflichtet als jedes andere Volk der Erde. Zu dieser Einseitigkeit bekenne ich mich, wo ich gehe und stehe.“
Im vergangenen März haben über 100 israelische Professoren zum Pessachfest geschrieben: (http://jewishcall.wordpress.com/2013/03/22/if-you-care-about-israel-silence-is-no-longer-an-option/)
„Als besorgte Juden und Israelis rufen wir euch auf, öffentlich eure Bedenken über die augenblickliche kritische Situation in Israel zum Ausdruck zu bringen und den Staat Israel aufzurufen, zu den friedlichen, moralischen, demokratischen und humanistischen Werten, die uns lieb und wert sind, zurückzukehren. Wir senden euch diesen dringenden Appell, weil wir glauben, dass ihr als liberale Juden mit uns die humanistischen Werte unseres jüdischen Erbes teilt und unsere Bemühungen unterstützt, den Verfall der israelischen Gesellschaft zu verhindern. (...) In den letzten Jahren waren wir Zeugen eines dramatischen Wandels in Israel. Die wachsende Dominanz von nationalistischen, expansionistischen und antidemokratischen Ideologien, Zielen und politischen Vorgehensweisen haben die demokratische und moralische rote Linie schon überschritten. Die andauernde Besatzung der West Bank und die Expansion der jüdischen Siedlungen in den besetzten Gebieten verletzen die elementaren Menschen- und kollektiven Rechte der Palästinenser und reißen das moralische Gefüge der israelischen Gesellschaft auseinander – wie etwa die Weigerung der letzten Regierung, sinnvolle Verhandlungen mit den Palästinensern und der arabischen Welt zu führen, was eine friedliche Vereinbarung in Bezug auf den anhaltenden Konflikt hätte bringen können.“
Sehr geehrte Frau Pau, mir ist unbegreiflich, warum Sie derartige Appelle, die mit Antisemitismus wahrlich nichts zu tun haben, nicht zur Kenntnis nehmen? Warum wiederholt die politische Klasse, wozu Sie als stellvertretende Parlamentssprecherin ja auch zählen, gebetsmühlenartig das Holocaust-Argument? Das Aussprechen der brutalen Realität in der Westbank kann doch ernstlich nicht zum Antisemitismus beitragen! Gerade diese Haltung führt zu Unmut, Unverständnis und eben auch zu antisemitischer Einstellung, wie ich auf meinen Vorträgen immer wieder gehört habe. Ich empfehle Ihnen die Lektüre der Antisemitismusstudie, an der auch Prof. Rolf Verleger mitgearbeitet hat (http://othersite.org/rolf-verleger-antisemit-oder-vorurteilslos-und-interessiert-die-konstanz-jenaer-studie-zu-einstellungen-zum-nahostkonflikt-2/).
Die „einzige Demokratie im Nahen Osten“ gerät in Gefahr, immer mehr zur „einstigen“ Demokratie zu werden. Daher gilt es, diejenigen zu unterstützen, die es wagen, sich öffentlich gegen diese Politik zu stellen.
Gerne bin ich bereit, zu Ihnen in die Fraktion zu kommen und Ihnen in einem einstündigen Vortrag über „Palästinensisches Leben unter israelischer Besatzung“ zu berichten.
Mit freundlichem Gruß
Ekkehart Drost
(ts)