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Offener Brief an den Rat der Stadt Bonn zum BDS/Antisemitismus-Beschluss: "In Bonn ist kein Platz für die antisemitische BDS-Bewegung" [08.06.2019]
Sehr geehrte Damen und Herren des Bonner Stadtrats,
die Perspektive des Sprechers in dem Beschluss In Bonn ist kein Platz für die antisemitische BDS-Bewegung ist die des israelischen Besatzers.
Die darin vorgeführten Antisemitismus-Beweise zur Rechtfertigung der Zensur der BDS-Kampagne, basieren ausnahmslos auf Auslassungen, Unwahrheiten, Täuschungen und rechtlichen Fiktionen.
Der Beschluss verschweigt, dass die Palästinenser seit mindestens einem halben Jahrhundert von Israel unterdrückt, vertrieben und beraubt werden. Er setzt sich über das internationale Recht sowie die Menschen- und Bürgerrechte hinweg; sowohl über die der Palästinenser als auch die der Bonner Zivilgesellschaft. Und er rechtfertigt all das durch die Einebnung des Unterschieds zwischen Juden und 'Jüdischem Staat', um so selbst den gewaltlosen Widerstand der Palästinenser gegen die Besatzer - die BDS-Kampagne - als Nazi-Terror delegitimieren zu können.
Anstatt Juden vor Antisemitismus zu schützen, schützt der Beschluss den vorgeblich jüdischen Staat. Beschützt Israel vor der Kritik, Aufklärung, Verfolgung und Bestrafung der Verbrechen, die es seit Jahrzehnten an den Palästinensern begeht, die heute rund die Hälfte der Bevölkerung des von ihm kontrollierten Territorium stellen; schützt deren systematische Unterdrückung, Vertreibung und Beraubung, die Voraussetzung für die Gründung und Aufrechterhaltung eines jüdischen Staats in ganz Palästina. Verbrechen, die mit dem vermeintlichen "Existenzrecht Israels" legitimiert werden.
Dank der geschmeidigen Diskretion deutscher Medien werden Sie von diesen Verbrechen vermutlich keine Kenntnis haben. Daher geben wir hier einem der Opfer ein Gesicht und erzählen hier seine Geschichte.
Es ist das Gesicht des fünfzehnjährigen Mohammed Tamimi (15) aus Nabi Saleh, einem kleinen Dorf an der Grünen Linie, dem ein israelischer Soldat im Dezember 2017 mit Plastik-Munition in das Gesicht schoss, um ihn zu töten. Zu töten, weil neben Nabi Saleh eine illegale jüdische Kolonie liegt, die das Land und das Wasser des Dorfs beansprucht. Zu töten, weil die Bewohner Nabi Salehs sich dem seit Jahren mit unbewaffneten Demonstrationen widersetzen. Zu töten, so wie zuvor zwei seiner Onkel, um den Demonstrationen ein Ende zu setzen und die Bewohner des Dorfs dazu zu bewegen es aufzugeben. So zu töten, wie das in einem sehr viel größeren Maßstab 1948 geschah, als jüdische Milizen palästinensische Dörfer mit Mörsern beschossen und Massaker an seinen Bewohnern begingen, um sie in die Flucht zu schlagen, unter der wohlwollenden Aufsicht der britischen Besatzer Palästinas, Wochen und Monate vor der Intervention der arabischen Nachbarstaaten im Mai 1948.
Das Ziel des Beschlusses besteht offensichtlich darin zu verhindern, dass solche Bilder und Geschichten weiter in Bonn gezeigt oder erzählt werden können; zu verhindern, dass zu Sanktionen oder einem zivilgesellschaftlicher Boykott aufgerufen wird, um den Verbrechen ein Ende zu setzen und um es Israel zu ermöglichen die Bewohner Nabi Salehs weiter straflos vertreiben, berauben und ggf. ermorden zu können, unter dem Deckmantel der Antisemitismus-Bekämpfung.
Der Beschluss ist nicht nur rassistisch gegenüber den Palästinensern, denen er jedwedes Recht auf Widerstand gegen ihre Unterdrücker abspricht - sogar das auf gewaltlosen Widerstand. Der Beschluss ist darüber hinaus auch antisemitisch. Denn Antisemitismus kann nicht bekämpft werden, indem man die Verbrechen an den Palästinensern unter dem Deckmantel der Antisemitismusbekämpfung verbirgt, indem man den ‚Jüdischen Staat‘ und die Juden in Deutschland vermengt und sie damit in die Haftung für dessen Verbrechen nimmt oder indem man die Sphäre der Rechtlosigkeit der israelischen Besatzung auf den kommunalen Raum der Stadt Bonn ausdehnt und die Grundrechte der Bonner Bürger demoliert. All das schafft nur neuen Antisemitismus und gefährdet die Juden, die im öffentlichen Raum als Juden erkennbar sind.
Diese Sicht wird von prominenten Juden in Deutschland, den USA und Israel geteilt, deren Humanität nicht an den Grenzen der eigenen Abstammung endet. Von Juden, die diesen Beschluss sicher ganz genauso ablehnen, wie den des deutschen Bundestags und die sich - soweit sie Israelis sind - für ihren Staat schämen, so wie man sich als Bonner Bürger für diesen Beschluss und dessen Konsequenzen schämen muss.
(ts)
Ergänzende Links:
Ratsbeschluss: "In Bonn ist kein Platz für die antisemitische BDS-Bewegung"