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2009053001
20 Jahre Sechstagekrieg: Israels Weg in die Krise
Geschichtsbetrachtung eines israelischen Antizionisten (von 1987) [30.05.2009]
von M. Warschawski
Michael Warschawksi, geb. 1949 in Strasbourg, ist seit den sechziger
Jahren in der israelischen Friedensbewegung aktiv.
Warschawski war u.a. Mitglied von "Matzpen" (1962-1984), ist Mitgründer von "Yesh Gvul" (seit 1982) und des "Alternative Information Center" (seit 1984).
Der nachfolgende Text Warschawskis erschien 1987 in der
Nummer 27/28 des "Palästina Bulletins".
Nach dem 6-Tage-Krieg 1967 stürzte Israel in einen Freudentaumel: Wer eben noch von Ausrottung bedroht war, dem ist alles erlaubt. Die wenigen antizionistischen Kritikerlnnen waren politisch und sozial isoliert und geächtet. Doch zehn Jahre später sah alles anders aus, das Selbstbild vom kleinen, friedenshungrigen Staat lag in Scherben. Erinnerungen eines Aktivisten der Gruppe "Matzpen".
Im Mai 1967 bereitete sich Israel auf den Krieg vor. Ich studierte damals an einer TalmudHochschule in Jerusalem. Eines Abends sprach der Leiter unserer Schule, der Rabbiner Zvi Yehuda Kook, davon, daß die Klagemauer bald befreit würde. Ein Traum, ein frommer Wunsch? Kook war der Vertraute des Oberrabbiners der Armee und kannte viele einflußreiche Politiker. Noch Jahre später sprach man von der prophetischen Gabe Kooks. Für mich war die "Prophezeihung" einer von vielen Beweisen dafür, daß die Besetzung Cisjordaniens keineswegs über Nacht von der israelischen Regierung beschlossen wurde, im Gegenteil...
Doch in diesem Mai 1967 zweifelte niemand daran, daß Israel gegen seinen Willen in einen Krieg gezogen wurde, und daß der jüdische Staat und seine Bevölkerung von Ausrottung bedroht waren. Ich meldete mich als Freiwilliger, zuerst in einem Blindenheim, dann in einem religiösen Kibbuz an der Grenze, zwei Kilometer vom Kloster Latrun entfernt. Dieser Kibbuz, Sha alvim, stritt sich später mit dem linken Kibbuz Nachshon um das Land von vier palästinensischen Dörfern, die gleich nach dem Krieg dem Erdboden gleichgemacht wurden.
Ich bin in einer orthodoxen jüdischen Familie in Frankreich aufgewachsen, Zionisnus und Israel waren für mich lange von minderer Bedeutung. Doch in diesem Mai 1967 identifizierte ich mich erstmals und ganz mit Israel, mit seinen Ängsten, Hoffnungen und hatte Teil am Ausbruch von Freude, der dem Sieg im Juni 1967 folgte. Den ganzen Sommer wurde gefeiert, die "befreiten Gebiete" vereinnahmt. Wer eben noch von Vernichtung bedroht war, dem ist alles erlaubt. Als mich ein Freund aus Frankreich besuchte und fragte: "Und was für eine Lösung hast du für die arabische Bevölkerung?" wußte ich nicht, wovon er sprach.
1967-1973: Isolierte Spielverderber
An der Hebräischen Universistät in Jerusalem traf ich im Herbst 1967 erstmals Leute, die auf Flugblättern die Vertreibung Hunderttausender Palästinenserinnen anprangerten, die von der Zerstörung der vier Dörfer bei Latrun sprachen. Diese Leute gehörten der Gruppe "Matzpen" an, der Sozialistischen Israelischen Organisation.
Zwei Erfahrungen brachten mich dazu, mich Matzpen anzuschließen: Die direkte Konfrontation mit der Besatzung im Rahmen meines Militärdienstes, und, als ich der Gruppe schon etwas näher stand, die Verhaftung eines arabischen Matzpen-Aktivisten, weil er Kontakt zu einem palästinensischen Studentenführer in den besetzten Gebieten hatte.
Für jene, die das nicht selbst miterlebt haben, ist schwer vorstellbar, was es von 1967 bis zum Oktoberkrieg 1973 bedeutete, gegen die Besatzung zu sein. Schlimm waren nicht nur die staatlichen Maßnahmen gegen uns, Beschattungen, wenn wir Flugblätter verteilten, die Zensur unserer Zeitung, das Verbot, ein Magazin in arabischer Spracher herauszugeben, schlimm war die totale Isolierung innerhalb der jüdischen Bevölkerung. "Matzpen" wurde in jenen Jahren hinter allem vermutet, von den Streiks der Hafenarbeiter in Ashdod bis zum Anschlag auf die Ölraffinerien in Haifa. Als Matzpen-Miglied Arbeit finden zu wollen, war Wahnsinn, Freunde zu haben außerhalb des kleinen Kreises von Antizionisten, war praktisch unmöglich. Viele mußten sogar die Beziehungen zu ihrer Familie aufgeben.
In den Medien wurden wir als "fünfte Kolonne" bezeichnet. Auch die liberale Linke wollte mit uns nichts zu tun haben, weder persönlich noch politisch. Sie scheuten sich auch nicht zu verlangen, man solle sich unser, der Verräter, entledigen, und sie forderten die Behörden auf, endlich Maßnahmen gegen uns zu ergreifen. "Matzpen" war das schlechte Gewissen jener Linken. Hingegen begannen sich die linken palästinensischen Organisationen für uns zu interessieren. Naif Hawatmeh, der Führer der DFLP, machte den ersten Schritt und begann mit uns einen freundschaftlichen Dialog.
Die systematische Verurteilung der Besatzung und die radikale Kritik an der zionistischen Politik begannen trotz allem Früchte zu tragen. Dies vor allem dank dem Erwachen des palästinensischen Widerstandes, der hier und im Ausland das palästinensische Problem und die zionistische Frage ins Gespräch brachte. Auch tauchten in Israel jetzt neue Oppostionsgruppen auf, teilweise beeinflußt von den Entwicklungen in Europa 1968/69. Einige Dutzend Mittelschülerinnen schrieben an Ministerpräsidentin Golda Meir einen Brief und beschuldigten sie, keinen Friedenswillen gegenüber den arabischen Nachbarländern zu haben. Erste Zeichen, daß sich in der israelischen Gesellschaft etwas regte, doch brauchte es noch einen größeren Schock, damit eine oppositionelle Massenbewegung entstehen konnte.
Nach dem Oktoberkrieg
Als die israelische Verteidigungslinie am Suez im Oktober 1973 zusammenbrach, war dies das Ende eines verrückten Taumels, den Israel seit 1967 erlebte. Militärische Stärke war also kein Garant für den jüdischen Staat, und war man 1973 noch knapp davongekommen, hieß das nicht, daß die Zukunft sicher war. Nach dem Krieg protestierten Zehntausende gegen Ministerpräsidentin Golda Meir und ihre Politik und forderten eine totale politische und moralische Neuorientierung des Staates. Dazu fehlte noch eine Alternative. Vorerst forderte der Oktoberkrieg bei den Wahlen 1977 ein letztes Opfer: Die Regierung der Arbeiterpartei, an der Macht seit der Staatsgründung, mußte zugunsten des rechten Likud-Blocks abtreten.
Der politische Sieg der arabischen Seite im Oktoberkrieg stärkte die PLO in den besetzten Gebieten. Sie wurde bald von einem großen Teil der Bevölkerung als die alleinige Vertretung des palästinensischen Volkes betrachtet. Die diplomatischen Erfolge der PLO in aller Welt, ihre Anerkennung durch viele Regierungen, der Auftritt Arafats vor der UNO, verhalfen der nationalen Bewegung in den besetzten Gebieten weiter zum Durchbruch.
Die radikale israelische Linke begann jetzt, mit den nationalen palästinensischen Kräften zusammenzuarbeiten. Wir hatten plötzlich nicht mehr das Gefühl, allein zu sein. Natürlich waren diese Entwicklungen noch randständig, doch immerhin arbeiteten erstmals in der feministischen Bewegung Zionistinnen und Antizionistinnen zusammen, gab es verschiedene Neugruppierungen gegen die Repression in den besetzten Gebieten und vor allem entstand auch unter den PalästinenserInnen innerhalb Israels eine breite nationale Bewegung.
Ende des Konsensus
10 Jahre Besetzung hatten die israelische Gesellschaft grundlegend verändert. Der Regierungswechsel 1977 von der sozialdemokratischen Arbeiterpartei zum rechten Likud-Block war nicht Ursache sondern Folge eines Rechtsrutsches der ganzen Gesellschaft. Die Besetzung eines Gebietes mit einer Bevölkerung von eineinhalb Millionen Palästinenserlnnen und die immer aggressiver werdende Politik gegenüber den arabischen Staaten (Vergeltungsaktionen, Bombardierung in Libanon, die Ermordung palästinensischer Führer) zerstörten das Bild, das eigene wie das fremde, des kleinen, bedrohten und friedenshungrigen Landes. Die jüdische Bevölkerung war skeptisch geworden, hatte den absoluten Glauben in die politische Führung und an ihre Sicherheitsargumente verloren und stellte eine Reihe wesentlicher Werte der zionistischen Gesellschaft in Frage.
In diese Stimmung platzte die Initiative des ägyptischen Präsidenten Sadat, sein Friedensangebot (das die PalästinenserInnen ausklammert). Das war die Alternative zum Bisherigen, die Widerlegung des alten Arguments der politischen Führung, die Ursache der Kriege sei die arabische Verweigerung des Friedens, "man habe keine Wahl", der israelische nationale Konsens brach zusammen. Es entstand die "Frieden jetzt!-Bewegung", eine Massenbewegung gegen die annexionistische Politik und die politische Führung. Der Druck dieser Bewegung zeitigte in der Folge zwei Ereignisse: die Unterschrift Israels zum Abkommen von Camp David, d.h. die Rückgabe des 1967 eroberten Sinais an Ägypten, und viel später, den Rückzug aus Libanon.
Der Zusammenbruch des nationalen Konsens ist nicht zu unterschätzen. Die Stärke Israels seit der Staatsgründung lag nicht nur in seiner technologischen Überlegenheit, sondern ebenso in der Einheit des Volkes hinter seiner Regierung, der Übereinstimmung von nationalem und von privaten Interesse. Der Staat hatte immer auf die außerordentlich große Mobilisierungsfähigkeit zählen können sobald er die "Sicherheitsfahne" geschwenkt hatte.
Auch die "Frieden jetzt!-Bewegung" reagierte anfänglich nach diesem Muster. Als Israel 1982 in den Libanon vordrang hieß es, "solange die Kanonen donnern, müssen wir hinter unserer Regierung stehen". Doch diesmal hielt die Stimmung nicht an. Am 26. Juni 1982, noch während die Kämpfe tobten, folgten 15-20.000 Leute dem Aufruf des "Komitees gegen den Krieg im Libanon" (eine Gruppierung militanter Linker und Unabhängiger aus dem Umfeld des "Solidaritätskomitees mit der Universität Bir Zeit"), demonstrierten gegen den Krieg und solidarisierten sich mit der PLO. Diese Leute waren in der Mehrzahl gemäßigte, zionistische Linke. "Frieden jetzt!" entschloß sich, gegen die israelische Libanoninvasion zu mobilisieren. Die Zeit war offenbar vorbei, da Pulvergeruch ganz Israel in Achtungstellung erstarren ließ.
Ich selbst habe diesen Stimmungsumschwung im Rahmen meines Militärdienstes erlebt. Zweimal war ich im Gefängnis wegen meiner Weigerung, in den Libanonkrieg zu ziehen, und ich habe dort mindestens 15 Kriegsdienstverweigerer getroffen. Die meisten waren linke Zionisten, viele Mitglieder sozialdemokratischer Kibbuzim. Von den Soldaten aus meinem Bataillon wurde ich weder tätlich noch mit Worten wegen meiner Haltung angegriffen, die meisten vom stellvertretenden Bataillonskommandanten bis zum Koch, zeigten mir ihre Sympathie während und nach meiner Zeit im Gefängnis.
Israel 1987: eine polarisierte Gesellschaft
Israel 1987 ist gewalttätiger, rassistischer, militaristischer und klerikaler als 1967. Doch ist es auch ein Land, das keinen nationalen Konsens mehr kennt, das sich täglich in allen Medien kritisch spiegelt, ein Land, in dem Korruption, Politmorde und andere "Verfehlungen" nicht mehr einfach unter den Tisch gewischt werden können. Gegenüber den PalästinenserInnen ist es repressiver geworden, was seine "inneren Werte" anbelangt, ist es weniger totalitär.
In jüngster Zeit wurden gehäuft antidemokratische Maßnahmen erlassen, z. B. das "Antiterrorismus"-Gesetz, das Kontakte zur PLO untersagt, die Schließung des Alternativen Informationszentrums und meine Verhaftung als Leiter dieses Zentrums etc.. Für viele ein Beweis zunehmenden Faschismus'. Mir scheint diese Einschätzung nur zum Teil richtig. Heute werden gegen Israelis dieselben repressiven Maßnahmen angewendet, die bis anhin den Araberlnnen vorbehalten waren. Mir scheint, auf Grund meiner persönlichen Erfahrungen, daß sich die israelische Gesellschaft eher polarisiert denn faschistischer wird: Ich wurde beschuldigt, mit der PFLP zusammenzuarbeiten. Zehn Jahre zuvor wäre ich dafür mit totaler Isolierung bestraft worden. Diesmal erhielt ich Unterstützung nicht nur von Linken, sondern von Leuten aus der ganzen Bevölkerung. Das "Sicherheitsargument" zieht offenbar nicht mehr. Dies wird sich beim nächsten Militärabenteuer, das bestimmt kommt, zeigen.
Michael Warschawski
Michael Warschawski ist Leiter des Alternative Information Center in Jerusalem, das am 16.2.1987 von der israelischen Polizei überfallen und danach für sechs Monate geschlossen wurde. Das Inforrnationszentrum veröffentlicht kritische Berichte und Positionen zur israelischen Innen- und Außenpolitik. Warschawski wurde am 16. Februar verhaftet und erst vor wenigen Wochen (vorläufig) wieder freigelassen.
(av)