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John J. Mearsheimer/Stephen M. Walt: Die Israel-Lobby
von Ludwig Watzal
Schon die Vorgeschichte und die Reaktionen auf die Veröffentlichung
des Essays „The Israel Lobby“ können als
Bestätigung für die Thesen der Autoren gelten. Im Herbst 2002 wurden
John Mearsheimer
(University of Chicago) und
Stephen M. Walt
(Harvard University) von der Zeitschrift
Atlantic Monthly
eingeladen, „einen Sonderbeitrag über die Israel-Lobby und ihren
Einfluss auf die US-amerikanische Außenpolitik zu
schreiben“. Über zwei Jahre standen beide Autoren in
engem Kontakt mit den Herausgebern dieser Zeitschrift. Im Januar 2005
reichten sie ihren Beitrag ein. Vorher hatten sie alle Anregungen der
Herausgeber berücksichtigt. Einige Wochen später
teilte die Zeitschrift den Autoren mit, dass man den Artikel doch nicht
drucken wolle; auch sei man an einer Überarbeitung nicht
interessiert! Ein „angesehener amerikanischer
Wissenschaftler“ habe von „jemandem“ von
Atlantic Monthly
ein Kopie erhalten, die er an die Herausgeberin Mary-Kay Wilmers von der
London Review of Books
geschickt habe, die ihr Interesse an einer Veröffentlichung bekundete.
Am 23. März 2006 erschien in besagter Zeitschrift der Beitrag
der renommierten US-Professoren unter dem Titel „The Israel
Lobby“, der in den USA wie eine Bombe einschlug. Die Wellen
der Empörung schlugen hoch, und die Reaktionen machten
deutlich, dass sie in ein Wespennest gestochen hatten. Die
konservativen Tageszeitungen
Jerusalem Post,
New York Sun
, das
Wall Street Journa
l und der
Washington Post
erhoben sogar den Vorwurf des
„Antisemitismus“. Maß- und respektvolle
Besprechungen erschienen in der
New York Times
, der
Financial Times
, der
New York Review of Books
, der
Chicago Tribune
, dem
New York Observer
, im
National Interest
und
The Nation
. Am Heftigsten reagierte
Alan Dershowitz
, seines Zeichens Law-Professor an der Harvard University. In seiner
Erwiderung „Debunking the Newest – and Oldest
– Jewish Conspiracy“ vom April 2006 zog er alle
Register, um den Artikel als ein fragwürdiges Pamphlet zu
disqualifizieren, das „riddled with distortions“
und „susceptible to misuse” sei. Stephen Walt, der
die Langfassung mit dem Harvard-Logo auf der Universitäts-Website als
„Discussion-Paper“ eingestellt hatte, musste auf
Druck das Universitäts-Logo wieder entfernen! Das
„Problem“ der beiden Wissenschaftler war: Sie
hatten nichts Geringeres in Frage gestellt als
„America´s last taboo“, wie es
Edward Said
noch kurz vor seinem Tod in einem Artikel genannt hatte.
Beide Autoren gehörten 2003 neben einigen Vertretern des
liberalen US-amerikanischen Judentums zu den wenigen Gegnern des
völkerrechtswidrigen Angriffskrieges der USA gegen den Irak.
Diese Antikriegshaltung ließ sie ins Fadenkreuz der
neokonservativen Bellizisten geraten, die in ihrer Mehrzahl mit
besagter „Lobby“ identifiziert werden und der
rechtskonservativen „Likud-Linie“ nahe stehen. Seit
den Terroranschlägen vom 11. September 2001 betreiben die
„Neocons“ und mit ihnen ein großer Teil
der US-Medien eine Dämonisierung des Islam. Diesen Vorwurf
erhob kürzlich der Rabbiner
Eric Joffie
, Präsident der Union des Refomjudentums, die 900 Kongregationen
mit zirka 1, 5 Millionen Gläubigen vertritt, laut der
israelischen Tageszeitung
Haaretz
vom 1. September 2007. Sie würden zu „satanic figures“
hochstilisiert. In den USA ist eine ganze
„Industrie“ entstanden, die sich auf die
Dämonisierung des Islam spezialisiert hat.
Eine ähnliche Dämonisierung widerfuhr dem ehemaligen
US-Präsidenten
Jimmy Carter
nach seiner Veröffentlichung des Buches
Palestine: Peace Not Apartheid
. Als sein schärfster Kritiker tat sich wiederum
Alan Dershowitz
hervor. Dem britischen Historiker
Tony Judt
erging es ähnlich. Eine Stunde vor seinem
Vortrag im polnischen Generalkonsulat in New York City wurde dieser
abgesagt, angeblich aufgrund eines Anrufes von
Abraham Foxmann
, Präsident der Anti Defamation League, der jetzt ein
Gegenmanifest mit dem Titel
Die tödlichsten Lügen:
Die Israel-Lobby und der Mythos von der jüdischen Dominanz
verfasst hat. Als jüngstes „Opfer“ sieht sich
Norman F. Finkelstein
, dessen Ernennung zum Professor auf
Lebenszeit (tenure) an der DePaul University in Chicago durch die
Intervention von Dershowitz verhindert worden ist, wie Kritiker behaupten.
Mearsheimer und Walt vertreten in ihrem Buch die These, dass Israel
für die US-Außenpolitik nach dem Ende des Kalten
Krieges zu einer „strategischen Bürde für
die Vereinigten Staaten“ geworden sei. Die unkritische
amerikanische Unterstützung oder sogar Rechtfertigung jedweder
israelischer Politik wie Siedlungs- und Mauerbau, die Besetzung und den
Raub fremden Landes wider das Völkerrecht, die
unzähligen Verstöße gegen die
Menschenrechte, den Aufbau eines Atomwaffenarsenals, die
Nichtunterzeichnung des Atomwaffensperrvertrages, die Produktion
biologischer und chemischer Waffen u. v. a. m. schade der
Glaubwürdigkeit amerikanischer Außenpolitik, aber
letztendlich auch Israel. „Die Israel-Lobby hat viele
Amerikaner erfolgreich davon überzeugt, dass amerikanische und
israelische Interessen im Wesentlichen identisch sind. Das sind sie
aber nicht.“ Was die Autoren durch zahlreiche Beispiele
belegen, wirkt überzeugend und ist fast unvorstellbar. Es
scheint nach der Lektüre, als habe „Die
Israel-Lobby“ die amerikanische politische Klasse fest im
Griff. Die Autoren beschreiben, wie die
Präsidentschaftskandidaten in ihrer Israelsolidarität
und Israelunterstützung geradezu wetteifern und sich
gegenseitig überbieten. Keiner anderen Lobby sei es gelungen,
die amerikanische Außenpolitik von dem abzubringen,
„was eigentlich im amerikanischen Nationalinteresse
läge“. Nach Ansicht von Mearsheimer und Walt
müsse über diesen negativen Einfluss auf
amerikanische Interessen öffentlich debattiert werden; dies
sei das Hauptanliegen des Buches. Dem Vorwurf, mit dieser Debatte werde
der Antisemitismus gefördert, weisen nicht nur die Autoren
zurück, sondern auch
Tony Judt
widersprach in einem Interview in der
Tageszeitung
(taz)
vom 11. September 2007 diesem Vorwurf:
„Ich glaube nicht, dass wir den Antisemitismus
fördern, wenn wir eine offene Debatte führen. Den
Antisemitismus fördern wir, wenn wir auf der einen Seite
moralische Imperative aufstellen und gleichzeitig eine kritische
Debatte über die israelische Politik unterdrücken,
wenn wir ein künstliches Schweigen erzwingen.“ Bei
dem Buch der beiden Autoren handele es sich „ganz und gar
nicht“ um eine „antisemitische
Verschwörungstheorie“, so Judt.
Nach Ansicht beider Autoren bestehe die
„Israel-Lobby“ nicht nur aus dem
American Israel Public Affairs Committee
, sondern sei eine lose Koalition bestehend aus
diversen Jüdisch-Amerikanischen Organisationen, so genannten
Think tanks
und
watchdog
-Gruppen, christlichen Fundamentalisten, den
Christian Zionists, Medienvertretern sowie neo- und theo-konservativen
Akademikern. Diese Lobby sei also keine „geschlossene,
einheitliche Bewegung mit einer zentralen Führung und sicher
auch kein Geheimbund und keine Verschwörung zur
‚Beherrschung’ der amerikanischen
Außenpolitik. Es handelt sich schlicht und ergreifend um eine
mächtige Interessengruppe aus Juden und Nichtjuden, deren
anerkanntes Interesse darin liegt, die Sache Israels in den Vereinigten
Staaten voranzubringen und die amerikanische Außenpolitik so
zu beeinflussen, wie es nach Ansicht ihrer Anhänger dem
jüdischen Staat nützt.“ Die beiden Autoren
gestehen ein, dass der Terminus „Israel-Lobby“
irreführend sei, da er etwas Monolitisches impliziere;
tatsächlich gebe es in der amerikanisch-jüdischen
Gemeinschaft aber ein breites Meinungsspektrum. Besser wäre es
gewesen, sie „Pro-Likud-Lobby“ zu nennen.
Edward Said
hat immer bedauert, das es den Arabern und den
Palästinensern nicht gelungen sei, eine ähnliche
„pressure group“ in den USA aufzubauen.
Nach Lektüre des Buches könnten die Leser/Innen den
Eindruck gewinnen, der Schwanz wedelte mit dem Hund. Oder ein
„Israel-Lobbyist“ gibt die Losung aus und alle
anderen marschieren in Reih und Glied. So ist es aber nicht. Es ist
keine Einbahnstraße. Ohne die Zustimmung der USA kann Israel
wenig tun. Die „Israel-Lobby“ arbeitet ja nicht im
geheimen. Sie ist sogar auf ihren großen Einfluss stolz. Das
amerikanisch-politische System ist wesentlich differenzierter und
vielschichtiger, auch was den Nahen und Mittleren Osten betrifft, als
Mearsheimer und Walt suggerieren wollen. Ein ebenso großes
Interesse in dieser Region haben die Öl- und die
Rüstungslobby, wovon nur am Rande die Rede ist. Beide Lobbys
setzen wesentlich mehr Geld zur Beeinflussung der
US-Außenpolitik ein als die „Israel-
Lobby“. Ein Blick auf den nicht geringen Einfluss der
kubanischen Lobby und der zahlreichen anderen „public
interest groups“ wäre ebenso lohnenswert gewesen.
Die eigentliche „Macht“ dieser proisraelischen
„pressure groups“ besteht eher darin, dass sie
Kritiker der israelischen Politik als „Antisemiten“
bezeichnet, wie bei Präsident Carter geschehen, oder als
„jüdische Selbsthasser“ tituliert, wie bei
Noam Chomsky,
Norman F. Finkelstein
oder
Tony Judt
praktiziert. Michael Massing nannte diese Taktik in der
New York Review of Books
"bullying tactics", um Israelkritiker zum Schweigen zu bringen. Eine solche
Praxis verhindert eine rationale Debatte über den Nahen Osten;
die aber tut not. Beide Autoren wollen mit ihrem Buch diese Diskussion
anstoßen.
Ob dem ursprünglichen Beitrag oder dem Buch der gleiche
politische Stellenwert zukommt, wie den Artikeln von
George Kennan
oder
Samuel P. Huntington
, die beide in der Zeitschrift
Foreign Affairs
erschienen sind und den Gang der Geschichte maßgeblich
bestimmt haben, wie Christian Hacke in der Wochenzeitung Die Zeit
mutmaßt, muss sich erst noch zeigen. Die Zeitung leistete
sich neben Hackes wohlwollender Besprechung gleich einen Verriss durch
ihren Herausgeber Josef Joffe unter dem Titel
Das Komplott der Koscher Nostra
. Der politischen Ausgewogenheit ist damit selbst in einer als
liberal geltenden Wochenzeitung Genüge getan! Wenn sich einige
Rezensenten bereits in Schadensbegrenzung üben und behaupten,
dass die Autoren übersehen hätten, dass die
israelische Regierung das Irak-Abenteuer durchaus mit gemischten
Gefühlen gesehen habe, weil es von der Bedrohung durch den
Iran ablenke, so scheint ihnen die wirkliche Debatte in der
israelischen Öffentlichkeit nicht gegenwärtig zu
sein. Vor dem Einfall der USA in den Irak plädierte das
Who is Who
der israelischen Generalität allabendlich für
einen Angriff auf den Irak.
Dieses Buch spaltet die Geister. Es argumentiert oft zu eindimensional,
an einigen Stellen sogar plump und bescheiden. Verkürzt
könnte konstatiert werden, dass letztendlich alle Wege zur
„Israel-Lobby“ führen, was als
verschwörungstheoretisch interpretiert werden kann. Jedes
Kapitel des Buches enthält zahllose Anmerkungen, die aber in
der deutschen Ausgabe fehlen – in der englischen Ausgabe
umfassen sie immerhin 108 Seiten! Das Cover der englischen und
deutschen Publikationen bedient auf seine je eigene Weise Vorurteile:
So lautet der Titel der US-Ausgabe:
The Israel Lobby and U. S. Foreign Policy
. Der Umschlag ist im Weiß und Blau der Israelfahne
gehalten, oben und unten sind die Balken der Israelflagge mit einigen
weißen Sternen, die für die US-Staaten stehen, zu
sehen. Die deutsche Ausgabe setzt einen ähnlichen Akzent: So
heißt der Titel
Die Israel Lobby
. Der Untertitel:
Wie die Amerikanische Aussenpolitik beeinflusst wird
. Graphisch wird dies durch
die Streifen der US-Flagge symbolisiert, aber anstelle der US-Sterne,
sind 33 Davidsterne abgebildet. Schon einmal erschien 1942 ein Buch mit
dem Titel
Kräfte hinter Roosevelt
, das auf dem Cover die
amerikanische Flagge zweckentfremdet zeigte. Dort waren ebenfalls
Davidsterne anstelle der amerikanischen
Stars
zu sehen, die die
US-Einzelstaaten symbolisieren. Beide Umschläge senden eine
eindeutige Message.
Die beiden Autoren haben völlig übersehen, dass es
auch eine andere „Israel-Lobby“ gibt. Sie umfasst Gruppen wie
Peace Now,
Brit Tzedek Veshalom
oder die Zeitschrift
Tikkun
, dessen Chefredakteur, Rabbiner
Michael Lerner
, immer wieder seine Stimme gegen die israelische Besatzungspolitik erhebt. Hinzu
kommen die vielen amerikanisch-jüdischen Intellektuellen, die
mit der Politik der „Israel-Lobby“ nichts am Hut
haben. Ebenso gibt es zahlreiche andere amerikanisch-jüdische
Gruppen, die vehement gegen den Irakkrieg protestieren, den die
„Lobby“ angeblich mit angezettelt haben soll. Trotz
einiger Mängel ist „Die Israel Lobby“ ein
wichtiges Buch, das hoffentlich zu einer unbefangeneren Debatte
über die amerikanische Nahostpolitik beiträgt und den
ideologischen Tunnelblick der Bush-Administration überwinden
hilft. Warum nimmt sich die amerikanische veröffentlichte
Meinung nicht einmal ein Beispiel an der israelischen Tageszeitung
Haaretz
, die kritischer gegenüber der israelischen
Regierungspolitik ist, als CNN, Fox News, Wall Street Journal, New York
Times, Washington Post, Boston Globe, Chicago Tribune u. v. a. m.
zusammen? Warum sollten die US-Medien päpstlicher als der
Papst sein? Die Debatte über den Einfluss der
„Israel-Lobby“ und die einseitige Nahostpolitik der
USA ist durch dieses Buch eröffnet.
John J. Mearsheimer / Stephen M. Walt:
Die Israel-Lobby
2007, 503 Seiten, Campus Verlag, geb.
Ladenpreis: 24,90 €
ISBN-13: 978-3593383774
Link:
Homepage
von Ludwig Watzal