Institut für Palästinakunde
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Judith Keshet: Checkpoint Watch


von Ludwig Watzal

„Checkpoint. Bericht aus einem zerteilten Land“, so lautet der Titel des ersten Romans des ehemaligen Knesset-Abgeordnete Asmi Bischara , der wegen einer geplanten, aber laut Pressemeldungen fabrizierten Anklage seine Heimat Israel verlassen hat. Diese Checkpoints sind seit 2001 zum unüberwindlichen Hindernis für die Palästinenser in der besetzten Westbank geworden. Sie determinieren und prägen den Tagesablauf und den Alltag der „Checkpointpassanten“. Gegen diese Entwürdigung hat sich eine Protestbewegung gebildet, die sich MachsomWatch nennt. Diese israelische Organisation setzt sich für die Menschenrechte der Palästinenser ein und fordert die „Checkpointherren“ zur Zivilcourage gegen die eigene Regierung auf. Die ausschließlich aus Frauen bestehende Organisation protestiert gegen die Diskriminierung von Palästinenserinnen und Palästinensern an den über 572 Kontrollpunkten in der seit 40 Jahren besetzten Westbank. (Im August 2005 gab es nur 376 Checkpoints!). 96 von 572 sind mit Soldaten besetzt, 476 sind unbemannte Straßenblockaden - bestehend aus aufgeschütteten Erdwällen oder Betonblöcken. Die EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner „kritisierte“ am 10. Oktober 2007 im EU-Parlament Israels Menschenrechtspolitik im Gaza-Streifen - oder meinte sie in diesem Fall vielleicht die Westbank? „Trotz der Zusage, Straßensperren abzubauen, hat Israel 44 neue Kontrollpunkte errichtet.“ An diesen Checkpoints sind Palästinenserinnen gestorben; Babys kamen an diesen unwirtlichen Orten zur Welt und starben, auch Intensivpatienten erreichten nicht die Krankenhäuser in Israel, weil israelische Soldaten und bewaffnete Siedler die Menschen daran gehindert haben. Rechtliche Konsequenzen hatte dieses willkürliche Verhalten nicht. Ohne die mutigen Frauen von „MachsomWatch“ würden die Menschenrechtsverstöße aus dieser Krisenregion untergehen in einer Flut von grausamen Meldungen. Die Protokolle der Frauen sind detaillierte und erschütternde Zeugnisse eines Besatzungsregimes, das seinesgleichen unter der Sonne des 21. Jahrhunderts sucht.

MachsomWatch wurde 2001 von Ronnie Jäger, Adi Kunstmann und Yehudit Keshet als Reaktion auf die zahlreichen willkürlichen Menschrechtsverletzungen durch das israelische Militär an den Kontrollpunkten gegründet. Augenblicklich hat die Organisation zirka 400 Aktivistinnen im Einsatz. Ihr Protest erfolgt - im Gegensatz zum martialischen Auftreten des israelischen Militärs und der Besatzungstruppen in der israelischen Öffentlichkeit und an den Checkpoints - schweigsam. Sie verlangen Rechenschaft von den eigenen Besatzungstruppen gegenüber der israelischen Zivilgesellschaft. Oft erscheinen diese mutigen Frauen als „fehlgeleitete Störenfriede“, was sie natürlich nicht sind, sondern sie sind „Störenfriede“ des selbstzufriedenen Gewissens der Mehrheit der Israelis, dessen Militär den indigenen Bewohnern und Besitzern des Landes das Leben zur Hölle macht. Die Repräsentantinnen von MachsomWatch sehen sich zahlreicher Diffamierungen ausgesetzt, wobei die Bezeichnung für die drei Gründerinnen als „Marx, Engels und Lenin“ als Ehre verstanden werden sollte.

Die Hälfte der Machsom-Watch-Frauen gehört zur links-liberalen Elite Israels; der Rest ist anderer Nationalität. Viele der israelischen Mitglieder stammen aus Kibbuzim oder sind Städterinnen. Sie als „un-israelisch“ zu bezeichnen und ihnen ein unrealistisches Menschenrechtsverständnis vorzuwerfen, das vielleicht für Holland zutreffe, erscheint vor dem Anspruch Israels, eine Demokratie westlichen Zuschnitts zu sein, nicht nachvollziehbar. Vielmehr scheint sich der Zorn der israelischen Mehrheitsgesellschaft gegen die Zionismus kritische Einstellung dieser Aktivistinnen zu richten. Die zionistische Linke, die auch als so genanntes „Friedenslager“ bezeichnet wird, hat es nicht vermocht, „die kolonialistische Mentalität abzulegen, die immer ein wesentliches Merkmal israelischer Politik gegenüber den Palästinensern war“ . Diese Haltung kommt besonders bei den Schriftstellern Amos Oz, Abraham. B. Yehoshua und punktuell auch bei David Grossmann zum Ausdruck. Das „offizielle“ Friedenslager, welches mit „Peace Now“ (Frieden jetzt) identifiziert wird, habe aber nie gegen „die Verweigerung oder Leugnung palästinensischer Rechte“ demonstriert. Auch beim letzten Libanon-Krieg habe dieses Lager gerade noch die Kurve gekriegt, als sich das Desaster für Israel abzuzeichnen begann. Im Vorfeld hat es auch für den Krieg getrommelt. Im Gegensatz zur zionistischen Linken hat die nicht-zionistische und kritische Linke eine „lange und ehrenwerte Geschichte des Widerstandes gegen die Besatzung und die Beachtung der nationalen Ziele der Palästinenser“ .

Das Buch zeigt auf erschreckende Weise, wie „legal“ die Besatzung funktioniert. Alles scheint „juristisch“ abgesichert. Diese Völkerrechts- und Menschenrechtsverstöße werden im Kapitel „Das Umfeld“ plastisch dargestellt. Mit westlich demokratischen Werten hat dies aber nichts zu tun; legitimierbar ist die Besatzung nach 40 Jahren schon gar nicht mehr. Umso irritierender ist die blauäugige alle Menschenrechtsvergehen übergehende Präsentation Israels „in seinen vielseitigen Facetten“ als „Gastland“ beim „Presseball Berlin“ im Januar 2008 im Maritim-Hotel. Haben sich die Veranstalter einmal gefragt, wie sie neben der sicher liebenswerten Klezmer-Volklore die 40-jährige Besatzungspolitik, die acht Meter hohe Mauer oder die Checkpoints darstellen wollen? Denken etwa die Presseball-Veranstalter daran, symbolisch einen Teil der Berliner-Mauer vor dem Maritim wieder zu errichten? Was würden die Machsom-Watch-Frauen oder die zahlreichen kritischen Israelis dazu sagen? Welche Signale wollen die Veranstalter an die internationale Gemeinschaft senden, und wie will man der Welt diese doppelten Standards verständlich machen?

Im Kapitel „Die Kontrollposten“ werden die Eindrücke von ganz gewöhnlichen Tagen, Berichten von Gewaltanwendungen, von willkürlichen Beeinträchtigungen und Schikanen sowie Reports über groteske, tragische und beängstigende Vorkommnisse geschildert. Den Frauen ist ihr Dilemma bewusst: Sie sind in einer privilegierten Position, sprechen aber in bester Absicht, obwohl sie das Vorrechts des Besatzers genießen. Ihre Berichte könnten eines Tages als Beweisstücke bei einem Prozess gegen die Besatzungsmacht relevant werden, den palästinensische Anwälte oder ihre staatlichen Vertreter anstrengen müssten.

Das Kapitel „Die Beobachterinnen“ behandelt den Zwiespalt zwischen der Organisation und der israelischen Gesellschaft, der ein fundamentaler ist. Kritisch wird die Wandlung von MachsomWatch von einer kritischen Protestbewegung zu einer weniger politisierten oder „angepassten“ Bewegung diskutiert. Durch diese Auseinandersetzung verliere der Protest nicht an seiner Bedeutung. Die Frage stelle sich jedoch, ob seine Wirksamkeit dadurch größer oder kleiner werde.

Das Nichtwahrhabenwollen der Grausamkeiten der „Checkpointherren“ gegenüber den „Checkpointpassanten“ irritiert nicht wenige der Aktivistinnen. Einerseits leben sie mit den israelischen Mythen wie „Land ohne Volk für ein Volk ohne Land“, „der Reinheit der Waffen“ oder durch das „Blut der Gefallenen“ für die „Konsolidierung der Nation“, andererseits sehen sie die täglichen „Entmenschlichungen“ und „Dämonisierungen“ der „anwesend Abwesenden“, wie die Palästinenser in zynischer Weise genannt werden, die zu einem Bestandteil der Geschichte geworden seien.

Die Kontrollpunkte lähmen das Leben in der Westbank. Entlang der Waffenstillstandslinie von 1949, die nach wie vor die von der internationalen Staatengemeinschaft völkerrechtlich anerkannte Grenze zwischen beiden Staaten ist, haben sie sich zu permanenten „Grenzübergängen“ entwickelt. Der Gaza- Streifen ist das größte „Freiluftgefängnis“ der Welt. In der Westbank gilt das Besatzungsrecht, aber nicht für die Siedler, die dort wider das Völkerrecht angesiedelt worden sind. Die Militärgerichte tagen innerhalb von Militäreinrichtungen und unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Oft sind diese Verfahren geheim, und häufig wird den Angeklagten und dessen Rechtsbeistand die Akteneinsicht verweigert. Die Gerichtsverhandlungen finden zwar in den besetzen Gebieten statt, die Strafe muss aber wider das Völkerrecht in Israel abgebüsst werden. Mutige Frauen machen auf einen seit 40 Jahren bestehenden Skandal aufmerksam, der von der „einzigen Demokratie des Nahen Ostens“ auch im Namen „westlicher Werte“ begangen wird. Und der „Presseball Berlin“ veranstaltet unter dem Motto „Shalom Israel“ seine Galaveranstaltung 2008. Wissen die veranstaltenden Journalisten, was sie da tun? Ihnen sei das Buch dringend ans Herz gelegt; allen anderen natürlich auch.

Yehudit Kirstein Keshet:
Checkpoint Watch
Zeugnisse israelischer Frauen aus dem besetzten Palästina
Mit einem Vorwort von Amira Hass
2007, 253 Seiten, mit ca. 10 S-W-Fotos, Nautilus, br.
Ladenpeis: € 18,-
ISBN 978-3-89401-555-8

Link: Homepage von Ludwig Watzal


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