Institut für Palästinakunde - IPK - |
von Khalil Toama
Es scheint mir, dass die Palästinenser das einzige Volk sind, das ständig aufgefordert wird, seinen Widerstand gegen Vertreibung und Besatzung und für seine National- und Menschenrechte zu rechtfertigen und zu legitimieren. Ihre Ziele und ihre Kampfmethoden, sogar ihre Einstellung zu dem Gegner/ Feind werden sehr genau unter der Lupe untersucht. Was von anderen Freiheits- und Unabhängigkeitskämpfern nicht erwartet wurde, ist, wenn es um die Palästinenser geht, zu einer Vorbedingung geworden, ihr Anliegen überhaupt näher zu betrachten. Um, zum Beispiel, über die Unterdrückung der Kurden oder der schwarzen Südafrikaner, geschweige denn der Vietnamesen, zu diskutieren, bestand man nie darauf, die „Gegenseite”, die Unterdrückerseite, im gleichen Atemzug oder auf demselben Podium zu repräsentieren und zu hören. Im israelisch-palästinensischen Konflikt hieß es, und heißt es immer noch, Ausgewogenheit oder gar Neutralität. Auf diesem Hintergrund muss die Abwehrhaltung der Palästinenser verstanden werden, die jede Frage nach Zielen, Mitteln und Perspektiven ihres Kampfes als Einmischung und als Infragestellung des, in ihren Augen, berechtigten Kampfes betrachten. Dieses gilt auch für gut gemeinte Fragen, wie die nach der Gewaltlosigkeit in der Auseinandersetzung mit dem Besatzer, mit dem Staat Israel. Fragen, die viele Palästinenser bezüglich Methoden und Zielen ihres Kampfes inzwischen selbst stellen, werden mit Skepsis betrachtet bzw. abgelehnt, wenn sie von Nicht-Palästinensern kommen. Dasselbe gilt auch für die berechtigte und zugleich legitime Frage, ob der gewaltlose Widerstand nicht doch ein besseres Mittel sei, die israelische Besetzung los zu werden. Dabei vermischen sich Stimmen der notorischen Israel-Apologeten, die entweder ausdrücklich sagen oder hinterlistig suggerieren, dass die Brutalität der Besatzer und all seiner Unterdrückungsmaßnahmen, eine Funktion der NichtGewaltlosigkeit der Palästinenser seien.
Zeitgleich zum blutigen palästinensischen Widerstand, der weltweit hohe Wellen geschlagen hat, formierte sich spontan eine breite Bewegung, die kontinuierlich gegen Auswüchse der Besatzung friedlichen Widerstand geleistet hat. Gemeint ist hier jede Form des Widerstandes, die den Gegner in seiner Existenz nicht gefährdet, sondern ihm die Möglichkeit offen lässt, seine Haltung zur Entschärfung und Lösung des Konflikts zu ändern. Diese Form fand keine Beachtung, wahrscheinlich, weil sich Israel, aus verständlichen Gründen, immer als Opfer darstellte. Opfer der Gewaltlosigkeit passte nicht ins Bild.
Es gab in den besetzten Gebieten seitens einiger Idealisten Versuche, eine Bewegung a la Ghandi zu gründen. Der bekannteste davon wurde von dem Pazifisten Awad Mubarak unternommen. Einige Aktionen haben viele Mitmacher angezogen und wegen der Anwesenheit der ausländischen Presse sind sie als - zeitlich begrenzte - Erfolge verbucht worden. Trotz seines US-Amerikanischen Reisepasses wurde er des Landes verwiesen. Einen ähnlichen Versuch unternahm der malkitische Bischof Rayya, der auch im israelischen Kernland aktiv war. Er wurde zur persona non grata erklärt. Seine Tage im Lande waren sehr kurz. Nachahmer fanden diese beiden nicht, weil Sit-ins und Kerzen-Aufmärsche nicht ganz „in” in für die palästinensische Gesellschaft waren. Der gewaltlose Widerstand hat doch andere Formen angenommen: Unzählige Streiks, Boykott von israelischen Waren, Banken, Verkehrsmitteln, auch Währung, Nichtbezahlung von Steuern, kurz, Ablehnung jeder Handlung, die Normalität der Besatzung signalisierte. Die Ablehnung der Besatzerkultur war der Stolz vieler Gemeinden, die Schulen, Büchereien und Jugendklubs gebaut haben, nebst der Schaffung von Arbeitsmöglichkeiten, damit die Arbeitskräfte unabhängig von Israel „am Leben” bleiben können.
Sechs Jahre nach der Eroberung vom Juni 1967, also 1973, wurde als erste überregionale Führung seit 1948, die Palästinensische Nationale Front (PNF) gegründet von ausgewählten Vertretern der gesamten besetzten Gebiete mit folgenden erklärten Zielen:
1978 wurde eine neue - auch überregionale - Kollektivführung gegründet aus demokratisch gewählten fortschrittlichen Kommunalpolitikern, Gewerkschafts-, Frauen- und Studentenunionsführern. National Guidance Committee (NGC) war ihr Name. Ihr erklärtes Ziel war, im Namen der Palästinensischen Bevölkerung, alle Probleme friedlich zu lösen. Diese neue Führung hat deswegen den tagtäglichen Kontakt mit den Besatzern gepflegt, um als Mediator zu fungieren. Sie hat - lange vor Oslo - den Mut zu erklären, dass ein Staat Palästina auf 22% des historischen Palästinas (West Bank, inklusive Ost Jerusalem und Gaza-Streifen) neben - nicht an Stelle von - Israel entstehen soll. Diese gewaltlosen Aktivitäten waren für Israel wie ein Dorn im Auge. Sie passten nicht ins Klischee des „die Juden ins Meer werfen” durch DIE Araber. Vier Jahre später wurden die aktivsten Bürgermeister der größten Städte in den besetzten Gebieten durch israelische Offiziere abgelöst.
Die Politik des Neue-Tatsachen-Schaffens ging weiter: Deportationen, Häuserzerstörungen, Landenteignungen zu Gunsten jüdischer Siedler, Judaisierung der besetzten Gebiete und Vertreibung der Einheimischen. Nennenswerte, wirkungsvolle Maßnahmen der „zivilisierten” Welt, diese und ähnliche völkerrechtswidrige Praxen zu stoppen, blieben aus, bis zum nächsten Aufstand - der ersten Intifada Ende 1987.
Ein anderes Beispiel für eine israelisch-palästinensisch geplante friedliche Aktion, ist der Versuch, ein Schiff zu chartern und von Griechenland aus eine symbolische „Rückkehr” der Palästinenser Richtung Haifa durchzuführen unter Beteiligung von israelisch-jüdischen Friedensaktivisten. Zwei Tage vor dem in See stechen wurde das Schiff durch israelische Agenten in die Luft gesprengt, im griechischen Hafen.
Wenn Gewalt nicht als Mittel zur Lösung gewisser Probleme eingesetzt wird, sondern als Vergeltung beziehungsweise als Maßnahme, um weh zu tun, kann die Gewaltlosigkeit nicht als Alternative angeboten werden. Wenn die Gewaltlosigkeit gepriesen wird, weil „das Ausland es so haben will” diskreditiert man dadurch eine wichtige Form des Widerstandes, ohne dabei andere Formen zu disqualifizieren. Gewaltlosigkeit hat eine Zukunft als Auseinandersetzungsmittel, wenn bewiesen wird, dass dadurch angestrebte Ziele erreichbar sein können. Dafür braucht man mehr als die Partei der Betroffenen. (ts)