Institut für Palästinakunde
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Es war immer schwer für Friedensaktivisten
Problematik der Friedensarbeit im Nahen Osten

(Quelle: Streitkultur 1/20003)

von Abdul-Rahman Alawi

Abermals steht der Nahe Osten im Mittelpunkt der internationalen Geschehnisse. Nicht der palästinensisch-israelische Konflikt ist dieses Mal Gegenstand, sondern der amerikanische Krieg gegen den Irak. Friedensgruppen überall auf der Welt reagierten schnell und mobilisierten eine beeindruckende und wirksame Protestbewegung gegen den Krieg. Einige europäische Regierungen, wie die britische und die spanische gerieten zunehmend nicht nur unter Druck der Kriegsgegner im eigenen Land, sondern laufen auch Gefahr, die Gefolgschaft in den eigenen Parteien zu verlieren.

Beim israelisch-palästinensischen Konflikt vermisst man gänzlich Aktivitäten der Friedensgruppen in Israel aber auch in Palästina. Diese Gruppen, die nach dem Abkommen von Oslo stärker in der Öffentlichkeit auftraten, sind seit Beginn der Alaqsa-Intifada zur Bedeutungslosigkeit verkümmert. Gerade nach dem Scheitern der Friedensverhandlungen zwischen Israel und der palästinensischen Autonomiebehörde sollten die Friedensgruppen noch engagierter und aktiver agieren, um die Kontrahenten zur Rückkehr an den Verhandlungstisch zu zwingen. Das Gegenteil ist eingetreten.

Mit der Verschärfung der Auseinandersetzung und der Eskalation der Gewalt nach dem Ausbruch der palästinensischen Intifada, offenbarte sich zunehmende Ablehnung der Israelis für einen Frieden im Rahmen der Osloer Vereinbarung mit den Palästinensern. Meinungsumfragen im März 2001, direkt nach Sharons Amtsantritt, zeigten, dass 71% der Israelis die Blockaden gegen die palästinensischen Städte und Orte befürworten, dass 79% der Israelis Sharon in seiner Weigerung unterstützen, die Friedensverhandlungen wieder aufzunehmen, solange palästinensische Gewalt andauert; die Umfragen ergaben außerdem, dass 72% der Israelis militärische Einsätze gegen die Palästinenser befürworten. Auch diejenigen, die gegen eine Räumung der jüdischen Siedlungen waren, bekamen Zulauf , 67% der Israelis stimmten dafür, vor der Intifada waren es 50%.

Die Friedensgruppen lagen, wortwörtlich, am Boden. Der Zusammenbruch der israelischen Friedensbewegung wurde sogar offiziell verkündet. Die Friedensgruppe „Gush Shalom” erklärte im April des Jahres 2001 in der israelischen Tageszeitung „Haaretz” das Scheitern des Friedensprozesses und das Versagen der Friedensgruppen. Gush Shalom rief in dieser Erklärung zur Bildung einer erneuerten Friedensbewegung auf, die aus diesem Scheitern ihre Lehren ziehen müsse. Im wesentlichen führte jene Erklärung das Scheitern der Friedensbewegung auf die Weigerung beider Seiten zurück, geschichtliche Fakten über die israelisch-palästinensische Auseinandersetzung zu erkennen. Außerdem versäumten die israelischen Friedensaktivisten, die zionistische „Version” über das Problem zu überdenken und die gegensätzliche palästinensische „Version”, zu ergründen.

Das ist auch der Hintergrund, warum weite Teile der israelischen Friedensgruppen, die Ablehnung von Baraks Angebot in Camp David seitens der Palästinenser nicht begriffen haben. Bei vielen Israelis herrscht vorwiegend die Meinung, die Palästinenser hätten Barak getäuscht und somit zu seinem Sturz beigetragen.

Zu den Irrungen und Wirrungen des Nahostkonfliktes gesellt sich die Auffassung, dass eine Friedensbewegung aktiv wird, wenn sie gerade nicht notwendigerweise gebraucht wird und lahmgelegt ist, wenn ihr Engagement und Einsatz für den Frieden von großer Bedeutung ist. Es bestätigt sich abermals, dass die Entstehungsgeschichte der Palästina-Frage von Anfang an durch paradoxe Handlungen und irreführende Argumente und Behauptungen gekennzeichnet ist. Irreführend, aber auch historisch falsch, war die Behauptung der zionistischen Bewegung, Palästina sei „ein Land ohne Volk für ein Volk ohne Land” gewesen. Palästina war seit biblischen Zeiten bewohnt und urbar, 88% seiner Bevölkerung waren Bauern, Zitrusfrüchte waren ein Hauptexportmittel nach Europa. Diese Tatsache widerlegt die zionistischen Behauptungen, Palästina sei ein Wüstenland gewesen, das sie zum Blühen gebracht hätten. Die Bezeichnung der Einwohner - ob luden, Christen oder Muslime - als Palästinenser bezieht sich auf das Land „Palästina” und nicht umgekehrt. Vom rechtlichen Gesichtspunkt gehört das Land seinen Einwohnern. Die Kolonialmacht Großbritannien besaß weder eine rechtliche noch eine moralische Grundlage, Palästina irgend jemandem zuzusprechen.
Artur Ruppin erkannte bereits am Anfang der Kolonisierung Palästinas diesen Fehler, wenn auch aus einem zionistischen Gesichtspunkt: „Im Anfang der zionistischen Bewegung gab es vielfach die Ansicht, Palästina sei ein leeres Land, und vielleicht ist unsere ganze frühere Taktik in hohem Maße von dieser irrigen Auffassung bestimmt worden. Wir haben inzwischen gründlich umlernen müssen. Palästina ist zwar mit seinen dreiundzwanzig Einwohnern auf den Quadratkilometer ein dünn bevölkertes Land (hier bezieht Artur Ruppin die Negev Wüste, die etwa ein Drittel des Landes ausmacht und damals und heute fast leer ist, mit ein) und könnte sicherlich bei entwickelter Wirtschaft das vielfache seiner jetzigen Bevölkerung ernähren.” Und weiter, „... und vorläufig sind die Araber der Zahl nach sechsmal stärker als wir. Wir können die Wirkungen dieses ungünstigen Zahlenverhältnisses nur dadurch wettmachen, dass wir uns vorläufig nicht durch ganz Palästina zerstreuen, sondern uns an einigen Punkten konzentrieren und hier geschlossene Siedlungen bilden. Nur auf diese Weise können wir schon heute in gewissem Umfang das erreichen, was wir erstreben, nämlich ein jüdisches Milieu und einen geschlossen jüdischen Wirtschaftskreis, in dem Konsument, Zwischenhändler und Produzent sämtlich Juden sind. Unsere Taktik bei der Ansiedlung in Palästina ist dadurch vorgezeichnet ....”'

Am besten kann man diesen Tatbestand am Teilungsplan von 1947 veranschaulichen: Die Vereinten Nationen (noch „Völkerbund” genannt) stellten auf Wunsch Großbritanniens Palästina unter britisches Mandat, um das Land auf seine Unabhängigkeit vorzubereiten. Damit rechtfertigte die Kolonialmacht ihre Herrschaft über Palästina und zur gleichen Zeit begann die Mandatsregierung, entgegen ihrem Auftrag, ihr unrechtmäßiges Versprechen an die zionistische Bewegung, eine „jüdische Heimstätte” in Palästina zu errichten, voranzutreiben. Aus der zweigleisigen Politik der Kolonialmacht entstand der Teilungsplan.

Die Teilung Palästinas erfolgte ohne Beteiligung der Palästinenser, sie war ungerecht und missachtete die nationalen Rechte des palästinensischen Volkes. Die Teilungsresolution berücksichtigte nicht einmal die Bevölkerungs- oder die Eigentumsanteile.' Die UNResolution der Vereinten Nationen Nr. 181 sah die Errichtung von zwei Staaten in Palästina vor, einen jüdischen und einen arabischen Staat. Bei näherer Betrachtung zeigen sich schon anhand der Zahlen die Unzulänglichkeiten jener Resolution. Laut britischer und UN-Statistiken betrug die Einwohnerzahl des Landes 1,8 Millionen, davon waren ca. 1,2 Palästinenser (Muslime und Christen) und 600 000 Juden.

Die Vereinten Nationen beschlossen folgende Teilung:

Abgesehen von der ungerechten Teilung des Landes, stellt sich die Frage, wie kann eine zionistische Regierung einen jüdischen Staat aufbauen, in dem 45% seiner Bewohner Araber sind. Die Antwort auf diese Frage erhielt ein britischer Offizier von einem jüdischen Beamten der Palästina-Verwaltung im Dezember 1947: „... das wird geregelt. Einige Massaker, und man wird sie los.”'

Jenen historischen Fehler der Urväter der zionistischen Bewegung, dass das Land Palästina ein „Land ohne Volk” gewesen sei, war in der Tat der Hintergrund für die durch gezielte Massaker verursachte systematische Vertreibung der Palästinenser aus ihrer Heimat 1947/48.

Demzufolge muss man verstehen, warum die Palästinenser den Teilungsbeschluss damals abgelehnt haben. Dass Israelis und große Teile der Friedensgruppen diese Frage immer noch stellen und fortan behaupten, die Palästinenser hätten bereits damals eine Chance verspielt, beweist die Einäugigkeit der Betrachtungsweise innerhalb der israelischen Gesellschaft einschließlich ihrer Friedenbewegung.

Zwar ist dieser „Irrtum” später von einem Teil der zweiten Generation der zionistischen Eliten korrigiert worden. Weizmann beschrieb den Konflikt zwischen Juden und Palästinensern als „Recht gegen Recht”. Diese Formel ist historisch nicht richtig. Es ist denkwürdig, dass aufgeklärte Denker wie Chaim Weizmann und Nahum Goldmann die Gründung des jüdischen Staates in Palästina aus biblischen Zeiten herleiten. Dieses Paradox spiegelt sich bis heute in der israelischen Gesellschaft wider. Sie ist säkular im Kernland und religiös fundamentalistisch, wenn es um den Ausbau der Siedlungen geht. Israel ist mit seiner Zielsetzung ein siedlungskolonialistischer Staat, der seine Ansprüche auf eine göttliche Verheißung gründet.

Das Existenzrecht des jüdischen Staates kann nur als de facto akzeptiert werden. Israel ist aus den Realitäten des 20. Jahrhunderts entstanden. Das Zeitalter des Kolonialismus verhalf der jüdischen Nationalbewegung, die sich im 19. Jahrhundert im Zuge zunehmender Pogrome gegen die luden in Europa formierte, zum eigenen Staat. Außerdem lenkt die Auffassung, „Recht gegen Recht” von den verheerenden Folgen der Gründung des jüdischen Staates für das palästinensische Volk ab. Das beanspruchte „Recht” der zionistischen Bewegung führte zur Entwurzelung und Vertreibung der Palästinenser. Ihnen wurde Grund und Boden weggenommen. „Recht” gegen Unrecht - das ist der Hintergrund von fünf israelisch-arabischen Kriegen, der Ausbruch von zwei Aufständen der Palästinenser und der anhaltenden Eskalation der brutalsten Gewalt und Zerstörung nach dem Scheitern den Friedensprozesses.

Das kollektive Rechtsbewusstsein der Israelis - und darauf wird bei jeder Gelegenheit ausdrücklich hingewiesen - wird davon abgeleitet, dass Israel die einzige Demokratie im Nahen Osten ist, und dass die Juden aus einem Wüstenland ein modernes blühendes Land aufgebaut haben. Damit soll das Unrecht gegenüber dem palästinensischen Volk kompensiert und relativiert werden. Wenn sich ein israelischer Friedensaktivist angesichts der brutalen Vorgehensweise israelischer Soldaten mit dem Satz empört: „das sind nicht unsere Leute”, zeigt das die Oberflächlichkeit der Friedensarbeit.

Dennoch sind die Chancen für ein friedliches Miteinander - trotz des im Irak tobenden Krieges - vorhanden. Die Selbstkritik der israelischen Friedenskräfte gibt Anlass zur Hoffnung, wenn es ihnen gelingt, die palästinensische „Version” wahrzunehmen und der eigenen Bevölkerung gegenüber zu vermitteln und klar die Fragen zu beantworten: Was ist ein Palästinenser? Woher rührt sein Hass und seine Verzweifelung? Ein Palästinenser ist ein Mensch, der sein Haus und sein Feld, sein Hab und Gut verloren hat. Er lebt in einer schäbigen Hütte in einem der zahlreichen vollgestopften Flüchtlingslager, während er (der Israeli) womöglich in seinem Haus in Haifa, Jaffa oder Teberias wohnt. Auf seinem Feld werden neue Wohnungen für gerade eingewanderte russische luden eingerichtet, während er weiterhin für sich und seine Kinder um das nackte Leben unter israelischer Besatzung ringt, die seit 35 Jahren andauert. Ein Palästinenser ist ein Mensch, der nicht begreifen kann, wieso es möglich ist, UN-Resolutionen für die Lösung der Judenfrage zu beschließen, es für die Weltgemeinschaft jedoch nicht möglich ist, bereits beschlossene Resolutionen zur Lösung der Palästinafrage durchzusetzen. Ein verzweifelter Palästinenser fragt sich immer wieder, warum jeder Jude nach 2000 Jahren ein Recht auf Rückkehr hat, während einem Palästinenser, der noch Papiere (Geburtsurkunde, Grundbucheintragung) besitzt, das Recht auf Rückkehr nach lediglich 55 Jahren verwehrt wird.

Der Ausweg aus der aktuellen kriegerischen Auseinandersetzung kann nur über die Rückkehr zur internationalen Legalität auf der Grundlage von UN-Resolutionen gefunden werden. Israel ist aufgrund der UN-Resolution 181 entstanden, welche die Gründung von zwei Staaten vorsah. Der Rückzug der israelischen Armee aus der Westbank und dem Gazastreifen gemäß Resolution 242 und die Gründung eines unabhängigen souveränen palästinensischen Staates auf diesen Gebieten legitimiert endgültig das Existenzrecht des jüdischen Staates in den Grenzen vom Juni 1967. Die Gründung des palästinensischen Staates kommt den zionistischen Bestrebungen, nach einem jüdischen Staat, eher entgegen. Will Israel mehrheitlich jüdisch bleiben, muss es die besetzten Gebiete räumen. Die Annexion der Westbank und des Gazastreifens, vorausgesetzt die Weltgemeinschaft macht mit, bedeutet eine weitere Minderheit von 2,6 Millionen Palästinensern.

Die Palästinenser nahmen bereits Mitte der siebziger Jahre die Zweistaatenlösung in ihr Programm auf, nachdem sie lange den gemeinsamen demokratischen Staat in ihrer Nationalcharta als die ideale Lösung für die Palästina-Frage festgeschrieben haben. Sie kehrten damit zum internationalen Konsens und strebten die Gründung eines eigenen Staates an.

Der palästinensische Staat ist aus palästinensischer Sicht Ausdruck nationaler Identität und bedeutet das Ende der Rechtlosigkeit. Der Begriff Palästinenser wird neu definiert. Palästinenser sind dann die Bürger des Staates Palästina. Die anderen entscheiden selbst, ob sie Jordanier, Israelis oder Deutsche bleiben oder doch zurückkehren wollen.

Israels Weigerung, einen palästinensischen Staat zu akzeptieren, bedeutet die Fortsetzung der Besatzung. Besatzung und nationale Unterdrückung schürt Feindschaft und Hass. Daraus entsteht Wut und Gewalt. Die Alternative heißt friedliche Verhandlungen. Die israelischen Eliten und Friedenskräfte haben es bisher versäumt, die historische Dimension des Friedensprozesses der eigenen Gesellschaft gegenüber zu vermitteln. Sie haben ihre Chance, eine einflussreiche Rolle im Friedensprozess zu spielen, versäumt und stehen heute isoliert zwischen zwei Gesellschaften, die sich erneut frontal angreifen.

In der eskalierten Gewaltspirale bietet sich eine Chance zur inhaltlichen Erneuerung. Mit seinem Aufruf zeichnet „Gush Shalom” einen Ausweg aus der Versagen der Friedensgruppen in Israel.

1. Vgl. Geschichte des jüdischen Volkes, aus Informationen zur politischen Bildung Nr. 140 (1991), S. 53. 2. Vgl. Seidler/ de Zayas, Kriegsverbrechen in Europa und im Nahen Osten im 20.Jahrhundert, Beitrag von A-R. Alawi, S. Z85ff, Mittler Verlag. 3. Sir lohn Glubb dokumentierte das Gespräch über die Problematik des hohen Anteils der Nichtjuden im jüdischen Staat in seinem Buch „A Soldier with the Arabs”, S. 99.

 (ts)

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